Der von den USA angekündigte Truppenabzug aus Afghanistan

Abzugsalarm in Afghanistan

Die Ankündigung des US-Präsidenten, Truppen aus Afghanistan abzuziehen, schwächt die Verhandlungsposition der USA und ihrer lokalen Verbündeten gegenüber den Taliban und könnte das politische System ins Wanken bringen.

Ende vergangenen Jahres beunruhigten Nachrichten aus Washington Afghanistan. US-Medien hatten unter Berufung auf anonyme regierungsnahe Quellen berichtet, dass Präsident Donald Trump bereits beschlossen habe, die Hälfte der derzeit in dem zentralasiatischen Land stationierten Soldaten abzuziehen. Nur wenige Tage zuvor hatte er einen vollständigen Abzug aus den Kurdengebieten in Syrien angekündigt.

Inzwischen relativiert die Regierung Trump nach bekanntem Muster die Meldungen, aber man weiß nichts Genaues. Die Washington Post berichtete, dass Trumps Militärberater ihn davon überzeugt hätten, das ein »kleinerer und langsamerer Abzug im Moment das Beste wäre« – wer auch immer diese Berater nach dem Rücktritt von Verteidigungsminister James Mattis sind; vom politischen Einfluss her kommt nur noch Trumps Nationaler Sicherheitsberater John Bolton in Frage.

Es wird spekuliert, dass zunächst die 2017 unter Trumps eigener Ägide erfolgte Truppenerhöhung um etwa 4 000 Mann rückgängig gemacht wird. Dann wären die USA wieder bei etwa 10 000 Soldaten, dazu kommen 8 000 Soldaten aus 38 weiteren Staaten von Albanien bis zur Mongolei, von Groß­britannien bis Neuseeland. Deutschland ist mit einer Obergrenze von 1 300  Soldaten zweitgrößter Truppensteller, vor Italien und Georgien. Eine endgültige Entscheidung sei noch nicht ­ge­fallen, so offizielle Stellen, Trump könne aber immer noch »jeden ­Moment ­einen vollständigen Abzug anordnen«.

Der Afghanistan-Krieg ist Think Tanks wie der International Crisis Group und dem US-amerikanischen Council on Foreign Relations zufolge inzwischen wieder der tödlichste weltweit.

In Afghanistan und bei den Nato-Verbündeten der USA wird Besorgnis bleiben, aus verschiedenen Gründen. Die afghanische Bevölkerung ist zu et­wa 60 Prozent jünger als 25 Jahre; diese jungen Menschen kennen nichts als Krieg, haben aber auch ein paar poli­tische und andere Freiheiten schätzen gelernt. Vor allem sie befürchten, dass sie diese Freiheiten bei einem Zusammenbruch der Regierung und einer eventuellen erneuten Machtübernahme der Taliban wieder verlieren würden. Daran, dass die afghanische Regierung fast völlig von externen Ressourcen, also den USA und ihren Verbündeten, abhängig ist, besteht kein Zweifel. Nach unterschiedlichen Quellen machen die finanziellen Zuwendungen aus dem Ausland zwischen 60 und 90 Prozent des Etats aus, mehr als in jedem anderen Land der Welt. Außerdem sind US-Spezialkräfte und Luftunterstützung oft entscheidend, wenn die Taliban afghanische Städte angreifen. 2018 eroberten sie für mehrere Tage die beiden Provinzhauptstädte Ghazni und Farah. Es ist nicht klar, ob sie zurückgedrängt ­wurden oder nach einem sym­bolischen Sieg auf ­eigenen Entschluss wieder abzogen. Oft drängt die lokale Geschäftswelt darauf, denn die Kämpfe und davon ausgelöste US-Luftangriffe legen häufig die Basare – ein Kernstück der afghanischen Wirtschaft – in Schutt und Asche.

Die fragmentierte afghanische Führungsschicht befürchtet, dass die Taliban sie von der Macht vertreiben könnten oder dass zumindest nicht mehr für alle Platz bei der Verteilung der Ressourcenzuflüsse sein könnte. Sie ist auch nicht wirklich an einem Friedensschluss mit den Taliban interessiert, auf den die US-Regierung mit Hochdruck hinarbeitet, denn auch dann droht ihr zumindest ein teilweiser Machtverlust. Hinzu kommen der zu erwartende Rückgang der direkten Sicherheitszuwendungen, die fünf Milliarden US-Dollar im Jahr betragen, und der Verlust von Einkommen aus Sicherheits- und Logistikdienstleistungen, ebenfalls in Milliardenhöhe.

Auch die Nato-Staaten wissen, dass sich ihre Truppen ohne logistische Unterstützung durch die USA nicht in ­Afghanistan halten können. Viele Regierungen wären aber sicher froh, wenn Trump einen Abzug anordnete und sie ihre Truppen – dann sozusagen gezwungenermaßen – ebenfalls zurückholen könnten. Von Großbritannien bis Deutschland herrscht in Parlamenten und Ministerien schon lange eine Afghanistan-Müdigkeit; neuere Konflikte haben die Aufmerksamkeit für das Land verringert.