Die Biographie von B. Traven

Der Karl May des Sozialismus

Der unbekannte Starliterat: Eine Biographie deckt endlich »Die fünf Leben des B. Traven« auf.

Von Schwiebus nach Mexiko-Stadt: Aus der preußischen Pampa schlug sich der Maschinenschlosser Otto Feige durch die Welt. Dabei halfen ihm mindestens vier Pseudonyme, bekannt wurde er letztlich als B. Traven. Unter diesem Namen feierte ihn das Publikum weltweit als Literaten, der Sozialkritik in spannenden Reportageromanen verpackte. Sein Werk wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt, ein Roman sogar in Hollywood verfilmt, und doch blieb die Person hinter B. Traven eines der größten Rätsel der Literaturgeschichte des vergangenen Jahrhunderts.

In einer ausführlichen Studie legt Jan-Christoph Hauschild nun eine Biographie des Mannes vor, der als Hochstapler und Plagiator, Überlebenskünstler und Gesellschaftskritiker, Anarchist und Autor so viel Aufsehen erregte.

Lange war Travens Identität nicht geklärt, zunächst wurden nur die Pseudonyme aufgedeckt. Dass der Schriftsteller als Otto Feige auf die Welt kam, hat Hausschild vor einigen Jahren bewiesen. Das unterfüttert er nun umfangreich. So zeichnet die Biographie nicht nur eines, sondern gleich fünf, wendungsreiche Leben nach, die stets von Ortswechseln geprägt waren.

Ins Dickicht aus Legenden und Tatsachen endgültig Licht gebracht zu haben, das ist Jan-Christoph Hauschilds großes Verdienst.

Am 23. Februar 1882 kam Otto Feige in der Kleinstadt Schwiebus – heute das polnische Świebodzin – auf die Welt. Seine Eltern zogen bald weg, der Junge blieb bei den Großeltern. Früh entwickelte er den Erinnerungen seiner Schwester zu­folge eine lebhafte Phantasie. Der Opa starb, Feige zog anschließend mit seinen Eltern umher, um schließlich wieder in Schwiebus zu landen. Als gelernter Maschinenschlosser wurde Feige Genosse in Magdeburg, dann Gewerkschaftssekretär in Gelsenkirchen. Irgendwann in dieser Zeit ­entdeckte er seine Liebe für die Schauspielkunst.

Die Existenz als Otto Feige endet, um das Jahr 1907/08 herum begann der junge Mann als Ret Marut eine Bühnenkarriere, als Geburtsort gab er San Francisco an. In München wurde er kurz vor dem Ersten Weltkrieg als Verleger tätig und machte mit der Kampfschrift »Der Ziegelbrenner« auf sich aufmerksam. Er beschwor mitten im Krieg die Völkerfreundschaft und geißelte den Staat, die Industriellen, das Militär und die Presse. Rabiat waren seine Attacken, unflätig war oft der Ausdruck, die Wut immens. Das Individuum dürfe, so die Quintessenz, nie dem Ganzen untergeordnet werden: »Nicht der Staat ist das Wichtigste, sondern der Einzel-Mensch.« In der Münchner Räterepublik wirkte ­Marut als Leiter des Presseamts. Bei deren Zerschlagung konnte er der steckbrieflichen Verfolgung durch die Behörden entfliehen. Er irrte durch mehrere Länder und traf schließlich 1924 über mehrere Umwege in Mexiko ein. B. Traven Torsvan war geboren.

Der Schriftsteller publizierte in den nächsten 30 Jahren von wechselnden Orten in Mexiko aus unter dem Künstlernamen B. Traven, überwiegend bei dem Gewerkschafts­verlag Büchergilde Berlin. Es sind Geschichten und Romane, die hauptsächlich in Mittelamerika spielen. Mit ihrer Mischung aus Exotismus, ­Sozialkritik und politischen Reflexionen erreichten sie Liebhaber in ­aller Welt. Diese glaubten, Traven habe das Geschriebene auch selbst erlebt. So soll der Roman »Das Totenschiff« von Travens mühevoller Überfahrt nach Amerika inspiriert worden sein. Der hier auftauchende Ich-Erzähler Gales hat wie im Roman­erstling »Die Baumwollpflücker« keinen Vornamen, was ein Indiz dafür sein könnte, dass hier wie da eigene Erfahrungen des selbst nur mit dem Kürzel B. ausgestatteten Traven verarbeitet wurden. Dabei war das meiste erdacht, erfragt oder zusammengesucht. Der Autor ging – mit einer Ausnahme – nicht auf beschwerliche Reisen und Expeditionen. Er erwies sich als ein geschickter Monteur, der aber auch vor dem Abschreiben von Fachartikeln über indigene Kulturen nicht zurückschreckte: ein Karl May des Sozialismus.
In mehr als 20 Sprachen wurden seine Bücher übersetzt, die Gesamtauflage schätzt der Biograph auf 30 Millionen Exemplare. »Der Schatz der Sierra Madre« über Goldgräber in Mexiko wurde 1948 sogar in Hollywood verfilmt. Um am Filmset die Dreharbeiten überwachen zu können, erfand B. Traven sein letztes Pseudonym: Er war als Hal Croves selbst am Drehort. Es ist erstaunlich, dass der Star derart lange ein großes Geheimnis um sich machen konnte, wo er doch seine vermeintliche Biographie und sein Werk eng miteinander verwob. Eigentlich wollte Traven nichts von sich preisgeben, aber auch damals liebte das Publikum die Behauptung der authentischen Erzählung. So folgte der Autor den Marktgesetzen, auch wenn er immer wieder die kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse kritisierte. In Briefen mit seinen Verlegern ist auszugsweise nachzuvollziehen, wie hart er ­darum kämpfte, nicht zu viel über sich zu verraten. Dabei sind die ­narzisstischen Züge, die auch aus Schreiben an seine Kritiker sprechen, nicht zu übersehen.

Travens wahre Biographie und Herkunft gaben der Literaturkritik und Reportern schon zu seinen ­Lebzeiten Rätsel auf. Dass er ein deutscher Emigrant war, der als Anarchist in der Räterepublik engagiert war, ging einigen früh auf. Erich Mühsam erkannte im Stil des B. Traven seinen alten Mitstreiter Ret Marut. Einige Geheimnisse wurden zwar zwischendurch gelüftet, dafür wurde aber ungleich mehr spekulativer Unsinn in die Welt gesetzt. So kursierten nach seinem Tod im März 1969 Gerüchte, Traven stamme vom Hohenzoller-Adel, ja dem Kaiser selbst ab.

Ins Dickicht aus Legenden und Tatsachen endgültig Licht gebracht zu haben, das ist Jan-Christoph Hauschilds großes Verdienst. Leider gerät diese Puzzlearbeit zur schwer lesbaren Faktenaneinanderreihung. Hauschild rollt Otto Feiges Biographie von hinten auf, was dem Buch wohl einen Krimicharakter geben soll. Doch stiftet dieses etappenweise Erzählen vom Ende her eher Ver­wirrung, es liest sich genauso verwinkelt, wie B. Travens Lebenslauf Haken schlug.

Akribisch listet der Autor seine Fundstücke auf. Aber er erzählt zu spannungslos und überfrachtet gerade zu Beginn die Seiten auch mit zu vielen und zu detaillierten Inhaltsangaben. Dass ihm literarisch auch für ein Sachbuch kein großer Wurf gelang, merkte Hauschild wohl selbst. Denn das Nachwort liest sich wie eine Rechtfertigung. Hauschild schreibt dort, dass es nur literarische Biographien geben könne, wo genügend Material vorhanden sei. Und da hat er ausgegraben, was eben aus­gegraben werden konnte. Immerhin spart er nicht mit Hinweisen auf Travens antisemitisches und rassistisches Denken. Juden galten Traven, sonst so sensibel für Unterdrückung aller Art, als Verkörperungen des Kapitals, Indigene als zurückgeblieben. Wurde ihm derlei aber vorgeworfen, wies er das als Unterstellungen empört von sich.

Bei aller Quellenknappheit hätte die Biographie einen schmuckeren Stil vertragen. Hauschild schreibt extrem nüchtern und kümmert sich nicht um Wortwiederholungen. Leider erfährt man auch zu wenig über Travens politische Ideen. Jenseits von lärmender SPD- und Gewerkschaftskritik ist nicht viel dazu zu finden. Selbst was genau ihn als Anarchisten – und als Anarchisten welcher Ausprägung – ausweist, bleibt blass.

Ob B. Traven jemals Gewissensbisse wegen seines Lebenslügengebäudes hatte? Auch diese Frage bleibt unbeantwortet. Vielleicht fand Hauschild kein Material dazu, konnte kein Interviewpartner diese Frage beantworten. Aber solche Leerstellen spricht der Biograph nicht einmal an. So bleibt auch in diesem Buch ungeklärt, was den Mann hinter den fünf Biographien eigentlich antrieb. Vielleicht hätte Otto Feige alias B. Traven auch an diesem Herumrätseln Freude gehabt – steckt doch in seinem ersten Pseudonym Ret Marut das Anagramm »ratet rum«.

 

Jan-Christoph Hauschild: Das Phantom. Die fünf Leben des B. Traven, Edition Tiamat, Berlin 2018, 317 Seiten, 24 Euro