Beim Europaparteitag der Linkspartei gab es statt Streit Kompromisse

Ungewohnte Harmonie

Die Linkspartei zeigte sich auf dem Bonner Europaparteitag erstaunlich konfliktscheu, Sahra Wagenknecht war nicht erschienen. Man einigte sich auf einen Kompromiss und fordert einen »Neustart« der EU.

Den Streit vor dem Bonner Europaparteitag der Linken fasst eine Fotofolge auf Twitter gut zusammen. Die Antikapitalistische Linke (AKL), ein Zusammenschluss in der Partei, hatte ein Transparent nach Bonn mitgebracht mit der Aufschrift »EU = neoliberal, undemokratisch, militaristisch«, daneben stand in einem Kreis aus roten Sternen der Slogan »People of Europe rise up«, darunter das Logo der Linkspartei. Alex Jahns, der Wahlkampfmanager der Linkspartei in Sachsen, twitterte drei Bilder des Transparents, jeweils mit einem Kommentar. Auf dem ersten Bild war das Wort »EU« umgeklappt. »Liebe @AKL_DieLinke, nächstes Mal bitte nicht am Klebeband sparen, dann verunglimpft man auch nicht versehentlich die eigene Partei.« Auf dem zweiten fehlten auch die Worte »neoliberal, undemokratisch, militaristisch«, nur noch »People of Europe rise up« und der Parteischriftzug waren zu sehen. Jahns kommentierte: »Schon besser!« Auf dem dritten Foto war das Transparent auf den Boden gefallen. Alex Jahns schrieb: »Am besten« – versehen mit einem Herzchen. Die kleine Bildfolge ­illustriert ganz gut, wie die EU-Gegner in der Linkspartei, zu deren wichtigsten Vertretern die AKL gehört, den Parteitag erlebt haben.

Kaum jemand glaubt noch, dass Sahra Wagenknecht ernst-hafte Ambitionen hegt, sich von der Partei abzusetzen.

Eigentlich sollte die EU im Wahlprogramm der Linkspartei mit den Adjek­tiven »militaristisch, undemokratisch und neoliberal« beschrieben werden. Das Vertragswerk der EU sei nicht geeignet, um einen »demokratischen, so­zialen, ökologischen« Politikwechsel einzuleiten; es brauche einen »Neustart« und eine umfassende Revision der Grundlagen des Staatenbundes. Diese Position, mit der sich die Linkspartei im Vorwort ihres Wahlprogramms als EU-Gegnerin geoutet hätte, wurde schon vor dem Parteitag abgeschwächt.

Eine große Mehrheit des Parteivorstands einigte sich auf eine neue Formulierung. »Die EU braucht einen Neustart. Dabei müssen alle vertraglichen Grundlagen revidiert werden, die zur Aufrüstung verpflichten und auf Militärinterventionen orientieren, den Anforderungen demokratischer Gestaltung entgegenstehen und die neoliberale Po­litik wie Privatisierungen, Sozialabbau oder Marktliberalisierung vorschreiben«, lautete der Vorschlag, der dann auf dem Parteitag angenommen wurde.

Die Formulierung gefällt nicht allen in der Partei. Lucy Redler, die Sprecherin der AKL, bekannte sich beim Parteitag sogar deutlich als Gegnerin der EU. In der Programmdebatte bezeichnete sie die EU als »Haus mit schiefem Fundament«, an dem nur Schönheitsreparaturen möglich seien. Redler warb für »das Recht von Ländern, aus der EU auszutreten«. In einem Taz-Interview sagte sie am Parteitagswochenende: »Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, in Deutschland die Auflösung der EU zu propagieren. Aber sollte es in einem Land der EU eine sozialistische Veränderung geben, ist das ohne Bruch mit der EU nicht möglich.«

Auf der anderen Seite der innerparteilichen Auseinandersetzung steht das Forum Demokratischer Sozialismus (FDS), das eine Republik Europa fordert und sich positiv auf das Manifest des Schriftstellers Robert Menasse und der Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot bezieht, die umfassende Reformen der EU fordern. Dieses Manifest zur Gründung einer europäischen Republik wurde im November von über 100 Theatern und Kultureinrichtungen unterschrieben. Aus der Sicht der EU-Gegner in der Linkspartei ist das der falsche Weg. Man will nicht zusammen mit dem Kulturbürgertum für Reformen eintreten, sondern den Systemwechsel an der Seite des Proletariats erkämpfen. Die­se beiden Positionen in ein Wahlprogramm zu quetschen, war die schwierige Aufgabe des Parteivorstands während des Parteitags – und es ist gelungen.

Zwar wurde am Samstag stundenlang auch sehr leidenschaftlich über mehr oder weniger EU-kritische Formulierungen im Programm debattiert, aber am Ende setzten sich die vom Vorstand ausge­gebenen Kompromissvorschläge durch.

Bei den Spitzenkandidaten sieht es nicht anders aus. Mit Martin Schirdewan und Özlem Demirel führt das von der Parteiführung vorgeschlagene Duo die Liste an. Beide rechnen sich selbst keiner Parteiströmung zu. Der Berliner Schirdewan steht dem Reformflügel sicher näher als Demirel, die der Migrantenorganisation DIDF und dem Landesverband Nordrhein-West­falen angehört, in dem Gruppen wie die AKL stark sind. Auch auf den weiteren Listenplätzen blieben große Überraschungen aus.

Dass es in Bonn so harmonisch zuging, dürfte auch daran liegen, dass Sahra Wagenknecht nicht erschienen war. Die Vorsitzende der Bundestagsfraktion sagte krankheitsbedingt ab. Die von ihr initiierte Bewegung »Aufstehen« ist nicht sehr erfolgreich. Zu einem groß angekündigten »Aktionscampus« in Dortmund erschienen am Samstag nur 120 Menschen, vorangegangene Aktionstage und Kundgebungen in diversen Städten waren ähnlich schlecht besucht. Deshalb ist die Angst vor Wagenknecht in der Linkspartei geringer geworden. Kaum jemand glaubt noch, dass Wagenknecht ernsthafte Ambitionen hegt, sich von der Partei abzusetzen. Unabsichtlich hat sie aber etwas anderes erreicht. Zwischen den Strömungen gibt es seit dem Konflikt um »Aufstehen« mehr Kontakte, denn weder die AKL noch das FDS konnten viel damit anfangen, dass Wagenknecht sich in einer für Rassisten und Nationalisten anschlussfähigen Weise äußerte.

Ohne Wagenknecht hätte der Parteitag mit dem Streit über Petitessen wie der Frage, ob man sich im Wahlprogramm gegen »die Macht der Banken und Konzerne« oder gegen »den Kapitalismus« ausspricht, zu Ende gehen können – wenn da nicht eine kontroverse Aktion am Samstagmittag gewesen wäre. Eine Gruppe von Parteimitgliedern, unter ihnen Dieter Dehm, betrat die Bühne, ausgestattet mit einem Transparent »Hände weg von Venezuela – vorwärts zum Sozialismus« und der venezolanischen Fahne.

Die Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel hielt da­zu eine Rede gegen den »US-Imperialismus« und angebliche Putschpläne der US-Regierung, ohne Kritik am au­tokratisch regierenden Präsidenten Nicolás Maduro und Menschenrechtsverletzungen zu üben. Rico Gebhardt, der zu dem Zeitpunkt den Parteitag leitete, wurde von dem Auftritt überrascht, den Inhalt kannte er vorher nicht. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel äußerten Gebhardt und weitere Politiker der Linkspartei ihr Unverständnis für die Aktion. Ein Antrag zu Venezuela wurde nicht behandelt, das Gleiche gilt für einen Antrag bezüglich der Verschärfung des Brandenburger Polizeigesetzes; beide wurden an kleinere Gremien überwiesen. Dort darf dann wieder an Kompromissen gearbeitet werden.