Die Proteste im Sudan gegen das islamistische Regime gehen trotz Kabinettsneubildung weiter

Genug von islamistischen Schöpfbechern

Im Sudan gibt es seit Monaten Proteste gegen das islamistische Regime. Vergangene Woche stellte Präsident Omar al-Bashir eine neue Regierung vor. Doch die Proteste gehen weiter.

Seit Anfang Dezember protestieren im Sudan Menschen in allen Landesteilen und fordern den Sturz des Regimes. Am 23. Februar reagierte Präsident Omar al-Bashir mit einer Reihe von Maßnahmen auf die Proteste. Allerdings waren diese kaum erfreulich für die Demonstrierenden. Al-Bashir verhängte einen einjährigen Notstand und ersetzte alle regionalen Gouverneure mit Militärangehörige.

Seinen Stellvertreter und den Ministerpräsidenten tauschte er aus, ersetzte sie allerdings nicht, wie von vielen gefordert, mit Technokraten, um einen Übergang zu organisieren, sondern mit alten Weggefährten. Er löste das Kabinett auf. Vergangene Woche stellte er eine neue Regierung vor. Doch auch diese besteht vorrangig aus al-Bashirs Vertrauten.

Die Armee unterstützt die Regierung. Das war in den früheren Umstürzen, die der Sudan erlebt hat, anders. Bei Erhebungen 1964 und 1985 hatte sich die Armee auf die Seite der Bevölkerung gestellt – ähnlich wie 2011 in Tunesien und Ägypten hatte dies die Regierung in nur einer Woche zum Rücktritt bewegt. Im Sudan wird nun weiterhin demonstriert. Die Protestierenden haben die 30 Jahre währende islamistische Diktatur satt.

Die Revolte sei maßgeblich von Frauen getragen, sagt der sudanesische Aktivist Adam Bahar: »Sie sind besser organisiert und vernetzt, weil sie schon seit Jahren Organisationen aufgebaut haben.«

Der Sudan ist unter den arabischen Ländern dasjenige mit den häufigsten demokratischen Phasen. Schon 1953 erarbeiteten die Sudanesen, damals noch unter britischem Mandat, eine demokratische Verfassung. Nach der Unabhängigkeit 1956 amtierte die Regierung allerdings nur zwei Jahre bis zum ersten Militärputsch. Nach der Erhebung 1964 wechselten die gewählten Regierungen, bis Oberst Gaafar al-Nimeiri nach einem Militärputsch 1969 die Macht übernahm. Nimeiri orientierte sich zunächst an Gamal Abd al-Nasser in Ägypten und verfolgte einen staatssozialistischen Kurs, wandte sich Anfang der achtziger Jahre aber dem Islamismus zu und führte die Sharia ein. In einer öffentlichen Zeremonie ließ er 1983 allen Alkohol, dessen man habhaft werden konnte, in den Nil kippen. Es waren Getränke im Wert von ins­gesamt fünf Millionen US-Dollar. 1985 wurde Nimeiri mit Hilfe des Militärs abgesetzt und erneut eine demokratische Regierung gewählt. Doch bereits 1989 putschte al-Bashir seinerseits mit Hilfe des Militärs. Damals versprach er, Hunger und Armut zu beenden. Stattdessen führte er Krieg um den Süden des Landes und ab 2013 in Darfur. Zudem wurde das Land international mit Sanktionen belegt, weil al-Bashir Terroristen unterstützte. Osama bin Laden soll in den Neunzigern in der Hauptstadt Khartoum in einer Villa gewohnt sowie ein Haus in Soba besessen und mit seiner Entourage fröhliche Löwenjagden veranstaltet haben. Gesuchte Terroristen der Hamas und des Islamischen Jihad unterhielten konkurrierende Gartenrestaurants, erzählte man sich vor 20 Jahren in Khartoum.

Obwohl die Diktatur al-Bashirs bereits lange währt, blieben Parteien und zivilgesellschaftliche Gruppen im ­Untergrund aktiv. In so manchem Kommentar in internationalen Medien liest man allerdings, dass die derzeitige Erhebung an mangelnder Führung kranke und niemand so recht ­wisse, wer dahinter steht.

»Absoluter Quatsch«, sagt dazu der sudanesische Aktivist Adam Bahar. Das sei die Behauptung des Regimes, das sich damit rechtfertige, dass sie mit niemandem verhandeln könne. Bahar sprach am Freitag vergangener Woche in Berlin bei der Veranstaltung »Sudan und Syrien, Ähnlichkeiten, Unterschiede, Lektionen in Solidarität«, die die Syrien-Initiative »Adopt a Revolution« aus­gerichtet hatte. Nachgegangen werden sollte dort der Frage, ob diese jüngste Revolte in der arabischen Welt Erfolg haben wird. Bahar wertet es zunächst als Erfolg, dass der Sudan seit fast ­einem Monat keine richtige Regierung mehr habe.

Der Aufstand sei getragen von der Sudanese Professionals Association (SPA), so Bahar. Die Gewerkschaft sei zwar seit langem verboten, aber im ­Untergrund gut vernetzt. Tatsächlich begannen die Proteste Anfang Dezember in der Eisenbahnerstadt Atbara, wo es traditionell eine starke Gewerkschaftsbewegung gibt. Zunächst richteten sie sich gegen erhöhte Brotpreise. Binnen 24 Stunden breitete sich der Protest im ganzen Land aus, und nach den ersten Todesfällen forderten die Demonstrierenden den Sturz des Regimes.

Auch dezidiert antiislamistische Slogans werden gerufen, einer davon lautet: »Wir werden alle Schöpfbecher zertreten.« Bahar erläutert: »Der große ­Islamist Hasan al-Turabi hat gesagt: Die Welt ist Wasser, wir sind die Schöpfbecher. Darum nennen wir die Islamisten Schöpfbecher.« Al-Turabi war der einflussreichste islamistische Denker des Sudan und galt in den neunziger Jahren als graue Eminenz des Regimes, fiel dann aber in Ungnade. Doch seine ­Beerdigung 2016 wurde als Staatsakt mit Tausenden Besuchern begangen.

Frauengruppen kämpfen schon seit Jahren gegen Sharia und islamische Kleidungsvorschriften. Der sudanesischen Frauenrechtsorganisation No to Women’s Oppression (Nein zur Unterdrückung von Frauen) zufolge werden jedes Jahr bis zu 50 000 Frauen wegen »unsittlicher Kleidung« verhaftet und zu Peitschenhieben verurteilt. Als »unsittliche Kleidung« für Frauen gelten im Sudan auch Hosen. Aufgrund der Verfolgung werde die derzeitige Revolte maßgeblich von Frauen getragen, sagt Bahar: »Sie sind besser organisiert und vernetzt, weil sie schon seit Jahren Organisationen aufgebaut haben.«

Mit dieser starken antiislamistischen Ausrichtung scheint der Aufstand ­gegen das sunnitisch-islamistische Regime im Sudan auf den ersten Blick ­politisch ganz anders gelagert als die Revolution in Syrien gegen die alawitisch geprägte Ba’ath-Diktatur. Trotzdem gibt es starke Solidaritätsbekundungen und Unterstützung von syrischen Gruppen. »Es gibt sehr viele syrische Flüchtlinge im Sudan. Außerdem eint uns die Erfahrung der Diktatur«, sagt Bahar. Der syrische Filmemacher Said Battar, der mit ihm bei der Veranstaltung auf dem Podium sitzt, erläutert: »Der Sudan war das einzige Land, in das Syrer ohne Visum reisen konnten.«

Aber auch ein gemeinsamer mächtiger Feind eint die syrischen und die sudanesischen Aufständischen. Traditionell sind zwar Saudi-Arabien und Katar wichtige Verbündete des Sudan. Doch vor einem Jahr schloss das Land mehrere Rohstoffabkommen mit Russland ab. Russland ist auch der wichtigste Waffenlieferant. Das sudanesische Parlament debattierte in jüngster Zeit über die Eröffnung eines russischen Militärstützpunkts. Russland fördert die regionale Kooperation zwischen seinen Verbündeten und so kam es, dass al-Bashir gerade den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad in Damaskus besuchte, als in Atbara die Revolte ausbrach.