Türkische Medien berichten kaum noch über Oppositionsparteien

Anweisung fürs Fernsehen

Trotz seiner administrativen Machtfülle legt Präsident Recep Tayyip Erdoğan sich vor den anstehenden Kommunalwahlen mächtig ins Zeug. Die Angst vor einer Niederlage in den Städten ist offenbar groß.

In einer hitzigen Rede ist es Recep Tayyip Erdoğan rausgerutscht: »Den Fernsehsendern habe ich auch Anweisung erteilt … « Seit auch die Mediengruppe Doğan an einen Erdoğan nahestehenden Unternehmer verkauft wurde, muss sich der türkische Präsident um mediale Unterstützung für die Kommunalwahlen am 31. März wirklich keine Sorgen mehr machen. So verbreiteten die Tageszeitung Hürriyet und CNN Türk die Nachricht, der Co-Vorsitzende der prokurdischen HDP, Sezai Temelli, habe gesagt, dass Istanbul und Ankara von der HDP verwaltet würden, wenn die Kandidaten der Republikanischen Volkspartei (CHP) in diesen Städte gewinnen sollten. Natürlich gibt es keinen Beleg für diese Aussage und die Sache an sich ist auch offenkundig Unsinn, aber vielleicht glaubt es ja doch jemand.

Erdoğan nimmt den Wahlkampf so wichtig, als stünde sein Palast bei ­Ankara auf dem Spiel. Dabei geht es nur um Bürgermeister, Gemeinderäte, Dorf- und Stadtteilvorsteher. Doch Erdo­ğan widmet sich der Sache so eifrig, weil er bei einer Wahlniederlage in den Metropolen nicht ohne Imageverlust davonkäme. Es wäre auch deshalb eine persönliche Niederlage, weil Erdoğan die seiner AKP angehörenden Bürgermeister von Istanbul und Ankara 2017 zum Rücktritt gezwungen und durch andere Parteimitglieder ersetzt hat.

Den Wahlkampf leitete eine wilde Drohung ein: »Wir werden eine Operation in wenigen Tagen beginnen, um den Osten des Euphrats von separatistischen Terroristen zu säubern«, sagte Erdoğan am 12. Dezember vergangenen Jahres. Eines Nachts würden türkische Soldaten nach Syrisch-Kurdistan kommen, die US-Truppen müssten zur Seite treten, kündigte er an. Bisher ist diese Nacht nicht gekommen. Vermutlich dachte Erdoğan, er könne die USA zu Konzessionen zwingen, doch am Ende hat er nichts erreicht. Neue Aufregung musste her. Die Demonstration zum Frauenkampftag am 8. März in Istanbul wurde über Lautsprecher von einer Baustelle aus mit dem Gebetsruf provoziert und für das Pfeifkonzert der Frauen flugs die Opposition verantwortlich gemacht.

Doch dann kam der Anschlag von Christchurch. Erdoğan zeigte das von dem Mörder aufgenommene Video während seiner Wahlauftritte auf Bildschirmen. Er forderte Neuseeland auf, die Gesetze zu ändern und »solchen Mördern kein Recht auf Leben« einzuräumen. Wenn Neuseeland den Mörder nicht zur Rechenschaft ziehe, werde es die Türkei tun.

Begleitet wird der Wahlkampf von einer selbst für Erdoğans Verhältnisse beachtlichen Flut von Drohungen. Schon vor Beginn des Wahlkampfs hatte Erdoğan erklärt, wenn Terrorunterstützer gewählt würden, werde er nicht zögern, diese sofort durch Treuhänder zu ersetzen. Das zielte auf die prokurdische Partei HDP.

Die Vorsitzende der rechten İyi Parti (Gute Partei), Meral Akşener, hatte Erdoğan persönlich wegen Präsidentenbeleidigung ­angezeigt. Der Strafrahmen beträgt ein bis vier Jahre Haft oder eine hohe Geldstrafe. Der gemeinsame Kandidat der linksnationalistischen CHP und der İyi Parti für Ankara, Mansur Yavaş, wird beschuldigt, in einem Verfahren gegen ihn falsche Papiere vorgelegt zu haben. Er wird in den Medien auch in Zusammenhang mit Pornographie gebracht. Sowohl die türkischen Medien als auch Erdoğan ergreifen einseitig Partei gegen Yavaş, obwohl die Anschuldigungen gegen ihn zweifelhaft sind.

Erdoğan hat bereits im Fern­sehen das Urteil über den nationalistischen Politiker gefällt: Yavaş werde ­einen »hohen Preis« zahlen. Leider seien dann auch die Bürger von Ankara betroffen, falls sie ihn zu ihrem Bürgermeister wählten. Vier Meinungsum­fragen sehen Yavaş fünf Prozentpunkte vor dem Kandidaten Erdoğans in ­Ankara.

Offenbar ist der Wahlkämpfer Erdo­ğan wegen der schlechten Wirtschaftslage und der miesen Stimmung im Land nervös. Auch seine Drohungen gegen die syrischen Kurden sind zum Rohrkrepierer geworden.

Andererseits kann man sich des Eindrucks nicht ­erwehren, dass die Opposition nach den Wahlen greift wie ein Ertrinkender nach dem Strohhalm. Erdoğan hat die Medien, den Staat und die Wahlkommission fest im Griff. Für die Wahlnacht haben die Gouverneure die Anweisung bekommen, die Verbreitung falscher Nachrichten zu verhindern. ­Offenbar hat jemand die Befürchtung, die offiziellen Ergebnisse könnten ­angezweifelt werden. In einem Punkt kann sich Erdoğan jedoch sicher sein: Alle großen Fernsehsender werden ihm die Stange halten.