Gibraltar und der Brexit

Ungewissheit auf dem Felsen

Seite 2 – Transparenz und Tabakschmuggel  
Reportage Von

Am 4. März, erst wenige Wochen vor dem ursprünglichen Austrittstermin, haben das Vereinigte Königreich und Spanien einen Vertrag zu Gibraltar unterzeichnet – den ersten seit den Utrecht-Verträgen von 1713. Es geht um Transparenz in Steuerfragen sowie die Unterbindung von Steuerbetrug und Geldwäsche. Ein Quell des Reichtums Gibraltars versteckt sich in einem Tunnel in einer Seitengasse: Tausende Postfächer für Briefkastenfirmen. »Wir haben längst Informationsaustausch in Steuerfragen mit Deutschland, mit den USA und vielen anderen Staaten. Spanien hatte sich bisher stets geweigert, ein solches Abkommen zu unterzeichnen. Wir sind sehr zufrieden damit, dass es nun geklappt hat«, bekräftigt Garcia. Spanien werde nun keinen Vorwand mehr für Streit haben, hofft er. Damit spielt er auf den Vorwurf Spaniens an, bei Gibraltar handele sich um ein »Steuerparadies«. Die spanische Regierung habe stets versucht, »unser Image und unsere Wirtschaft zu beschmutzen«, so Garcia. Doch nicht nur Steuerflucht beschäftigt Spanien, auch der Tabakschmuggel aus Gibraltar kostet den spanischen Fiskus alljährlich dreistellige Millionenbeträge in Euro.

»In den vergangenen 46 Jahren, in denen Gibraltar EU-Mitglied war, hat es stets eine sehr enge wirtschaftliche ­Beziehung zu Spanien gegeben«, betont der stellvertretende Regierungschef. »Wir importieren jedes Jahr Güter im Wert von 1,5 Milliarden Euro aus Spanien.« Täglich passieren rund 300 LKW die Grenze zu Gibraltar. Von den 14 700 Pendlern, die täglich zum Arbeiten kommen, sind über 10 000 Spanier, zumeist aus den Nachbarstädten; über 4 000 weitere haben EU-Staatsbürgerschaften.
Eine Lösung für die Pendler aus Spanien zu finden, ist zentral, denn beide Seiten, Gibraltar und Spanien, sind voneinander abhängig. Gibraltar bietet ­Arbeitsplätze für krisengeplagte Spanierinnen und Spanier, vor allem in der Bucht von Gibraltar rund um die Hafenstadt Algeciras, und Spanien bietet ­Investitionsmöglichkeiten im Immobilienbereich, etwa im nahen Sotogrande und der Provinz Cádiz.

Eine der Pendlerinnen ist Miriam Martínez Mena (34). Sie stammt aus Barcelona und arbeitet in einer typisch englischen Bäckerei am Casemates Square. Ein Teil ihrer Familie lebt in der Grenzstadt La Linea, also beschloss sie, in Gibraltar eine Stelle zu suchen. Seit fünf Jahren arbeitet sie hier. »Eine bessere Arbeit als hier findet man nicht, schon gar nicht in Andalusien«, sagt sie. Der große Vorteil sei neben dem höheren Einkommen der feste Arbeitsvertrag, den sie hier hat – in Spanien hat nur ein Bruchteil der Lohnabhängigen ihrer Generation unbefristete Arbeitsverträge. Der Verfall des Pfunds (der Wert des Gibraltar-Pfunds ist an die britische Währung gekoppelt) sei jedoch stark spürbar, betont sie. »Ich habe keine Angst vor dem, was kommen wird«, sagt Martínez. Zur Arbeit komme sie zu Fuß. »Wichtig ist die Einigkeit zwischen Spanien, Gibraltar und England«, unterstreicht sie. »Wir Spanier leisten die meiste Lohnarbeit in Gibraltar. Alle Seiten profitieren von der ­Kooperation und offenen Grenzen.«

 

Die Rechte in Spanien

Neben dem EU-Austritt drohen Gibraltar weitere Probleme. Sollte nach den Parlamentswahlen in Spanien am 28. April eine rechte Regierungsmehrheit zustandekommen, gestützt von oder mit Beteiligung der rechtsextremen Partei Vox, dürften sich die Beziehungen zu Spanien drastisch verschlechtern. Javier Ortega Smith, der Generalsekretär von Vox, wird wegen einer ­Aktion in Gibraltar im Vereinigten Königreich per Haftbefehl gesucht. Er hatte eine überdimensionale spanische Flagge am Affenfelsen ausgebreitet.
»Wir haben natürlich Präferenzen, und wir wissen, mit welchen Kräften wir besser zusammenarbeiten und welche wir kritisch sehen«, sagt Garcia dazu. Mit der Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) habe man stets kooperiert. Der PSOE regiert Spanien wieder seit vergangenem Jahr. Im benachbarten Andalusien wurde die PSOE-Regierung Anfang des Jahres allerdings von einer rechten Koalition abgelöst (Jungle World 4/2019). »Das Erstarken der rechten Parteien ist kein spanisches Problem, sondern ein zutiefst besorgniserregendes in vielen Staaten. In Spanien ist die Position der Rechten eine weit härtere, wann immer es um Gibraltar geht«, so Garcia. »Insbesondere in Wahlkampagnen ist Gibraltar für die Rechte ein willkommenes Thema.« Sie müsse nur darauf schimpfen, um ihre Wähler zu mobilisieren.

Auch der Inhaber von »The Star Bar«, dem ältesten Lokal am Felsen, Zoltan Krawczyk, warnt vor einer Regierungsbeteiligung von Vox. Er ist Ungar, lebt aber seit fast einer Dekade in Gibraltar. Bei einem halben Pint urbritischen Ales erzählt er von seinen Sorgen: »Dieses Jahr kommen 20 Prozent weniger Kreuzfahrtschiffe nach Gibraltar.« Einen Plan für das Worst-Case-Szenario habe er nicht. »Hier sind wir alle noch extrem entspannt – weil wir einfach nicht wissen, was passieren wird«, sagt er. »Was auch immer am Ende des ›Brexits‹ steht, am meisten wird es die Spanier betreffen, auf der anderen Seite der Grenze, und die, die hier arbeiten.« Er selbst habe drei spanische Pendler ­unter Vertrag.

Schlimmstenfalls bräuchten jene, die die Grenze nach einem britischen EU-Austritt passieren wollen, eine spanische Meldebestätigung, hat Krawczyk gehört. Das wäre vor allem für jene knapp 4 000 EU-Bürger problematisch, die nicht in Spanien gemeldet sind, etwa Polen und Rumänen. Unklar sei auch, wer schließlich ein Visum brauchen werde. In einem EU-Papier konnte Spanien mit Erfolg die Bezeichnung »Kolonie« für Gibraltar unterbringen – die allseits fällige EU-Visagebühr von 60 Euro wäre die Folge. Krawczyk selbst hält derweil an seiner ungarischen Staatsbürgerschaft fest und träumt von einem Haus im marokkanischen Casa­blanca, wenn er sich zur Ruhe setzt.