Trisomie-Tests als Kassenleistung

»Habt nicht so viel Angst vor uns!«

Der Bundestag debattiert, ob Trisomie-Tests für Schwangere künftig von Krankenkassen bezahlt werden sollen. Eine ganz andere Frage wäre dringender: Wie geht unsere Gesellschaft mit behinderten Menschen um?

Eigentlich gehört das Thema gar nicht in den Aufgabenbereich des Bundestags. Dieser hat am 11. April 2019 darüber debattiert, ob ein Bluttest für Schwangere zum Nachweis des Down-Syndroms beim Em­bryo eine Kassenleistung werden soll. Bislang müssen Schwangere den Test selbst bezahlen. Doch über die Aufnahme in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen entscheidet nicht der Bundestag, sondern der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), dem Vertreter der Kassenärzte, der Deutschen Kranken­hausgesellschaft und der gesetzlichen Krankenkassen angehören; Patientenvertreter haben nur beratende Funktion. Doch diesem Gremium fiel die Entscheidung aus ethisch-moralischen Gründen anscheinend zu schwer, so dass es den Bundestag um beratende Hilfe bat.

Dass ein Kind mit Down-Syndrom eine Belastung ist, scheint gesellschaftlicher Konsens zu sein.

Im Bundestag ging es dann auch gar nicht um eine Abstimmung, sondern um eine rund zweistündige Aussprache. Dabei wurde jedem Parlamentarier eine dreiminütige Redezeit zugestanden. »Es war eine sehr ruhige und sachliche Debatte. Und es wurde deutlich, dass es eine klare parteipolitische Meinung nicht gibt«, berichtet Sarah Manteufel vom Selbsthilfeverein »Kids (Kompetenz- und Infozentrum Down-Syndrom) Hamburg«, die für die Debatte angereist war. Am Ende zeichnete sich eine klare Mehrheit für eine Zu­lassung des Bluttests ab. Viele Parlamentarier verwiesen auf die Risiken anderer pränataldiagnostischer Unter­suchungen wie zum Beispiel der Fruchtwasseruntersuchung.

Der risikolose Bluttest zur Feststellung des Down-Syndroms ist nicht neu. Bereits seit 2012 besteht die Möglichkeit, über eine einfache Blutentnahme die Trisomie 21, die das Down-Syndrom verursacht, nachzuweisen. Kostete der Test zunächst rund 800 Euro, so ist er mittlerweile bereits für 100 bis 200 Euro verfügbar. Er kann bereits recht früh in der Schwangerschaft angewendet werden. Im vergangenen Jahr wurde er laut Herstellern rund 100 000 Mal genutzt. Nach einem positiven Testergebnis, so geistert es immer wieder in den Medien herum, entscheiden sich angeblich 90 Prozent der Frauen für einen Schwangerschaftsabbruch. Doch belastbar sind diese Zahlen nicht, da in Deutschland darüber keine Statistik geführt wird. An der Charité in Berlin kam eine Studie auf eine Abbruchrate von 67 Prozent.

Unabhängig davon, auf welche Zahlen man sich stützt – es scheint so etwas wie ein gesellschaftlicher Konsens zu herrschen, dass ein Kind mit Down-Syndrom eine »Belastung« oder ein »Abbruchgrund« sei. Dem entgegnet Rita Lawrenz, Vorsitzende der »Deutschen Stiftung für Menschen mit Down-Syndrom«: »Menschen mit Down-Syndrom leben gern!« Man könne den Fortschritt und damit den Test nicht aufhalten oder ändern, »sehr wohl aber die gesellschaftliche Wahrnehmung von Behinderung«. Lawrenz’ Sohn ist 33 Jahre alt, hat das Down-Syndrom und eigentlich nur eine größere Sorge: Das »Taschengeld« in Höhe von 140 Euro, das er in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung als Lohn erhält, reicht nicht für die oftmals beschworene »kulturelle Teilhabe«.

Sarah Manteufel hat sich ebenfalls bewusst für ein Kind mit Behinderung entschieden. »Immer wieder wurde uns gesagt, dass der Ultraschall auffällig ist. Wir haben uns aber gegen eine weitere Diagnostik und für unser Kind entschieden«, sagt die 41jährige. Ihre Tochter Lova hat das Down-Syndrom und ist fünf Jahre alt. Sie ist ein glückliches, kein leidendes Kind. Wenn Manteufel an die Zeit vor und nach der Geburt zurückdenkt, waren da aber stets die sorgenvollen Blicke der Ärzte. Wir raten zur Abtreibung – diese Botschaft habe immer mitgeschwungen, auch wenn sie nicht explizit geäußert wurde. »Eltern, die ein Kind mit Behinderung erwarten oder bekommen, brauchen die volle gesellschaftliche Unterstützung und Beratung«, sagt Elzbieta Szczebak, Leiterin des »Deutschen Down-Syndrom Infocenters« im fränkischen Lauf. Deutschland gleicht in dieser Hinsicht, zehn Jahre nach Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention, immer noch einem Entwicklungsland. »Lova kann nicht einfach die Grundschule direkt gegenüber besuchen. Ohne sie auch nur einmal anzugucken, wurden wir an eine weit entfernte sogenannte Schwerpunktschule verwiesen, die Kinder mit Down-Syndrom aufnimmt«, erzählt Manteufel. Auch die Suche nach einer inklusiven Kita glich einer Odyssee. Zahlreiche Kitas sagten ab, da sie ein Kind mit Down-Syndrom als Überforderung ansahen.

Die Selbsthilfeverbände sind aufgrund der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mehrheitlich gegen eine allgemeine Anwendung und Kostenübernahme des Bluttests. Sie warnen vor einem hohen »Selektionsdruck«, auf Eltern, die sich für ein Kind mit Down-Syndrom entscheiden. »Wir haben heute schon viele Begegnungen, bei denen Eltern gefragt werden, ob sie es nicht vorher gewusst hätten«, berichtet Szczebak. Ihr Verband hat dem eine Postkarte mit dem Slogan »Ja, wir haben es gewusst!« entgegengesetzt. »Wir brauchen eine Art Moratorium, um zu entscheiden, wie wir als Gesellschaft in Zukunft mit genetischen Tests umgehen wollen und wie eine Gesellschaft der Vielfalt aussehen kann«, so Manteufel.

Weitere Tests für andere genetisch bedingte Krankheiten oder Behinderungen werden bald verfügbar sein. Die Verbände befürchten eine schrittweise Verschiebung im Bereich der Krankenversicherung. »Wenn man sich trotz ­positivem Test für ein Kind mit Behinderung entscheidet, könnten Krankenkassen in Zukunft kritisch nach­fragen«, warnt Szczebak. Der Blick auf Behinderung, so wird auch in dieser Debatte wieder einmal deutlich, ist nach wie vor defizitär und oftmals medizinisch geprägt. »Es beginnt mit den Blicken der Ärzte. Da ist jeder in seiner Rolle und es mangelt an fachkundiger Beratung schon in den Kliniken«, berichtet Manteufel von ihren Erfahrungen.

Die Aktivistin Natalie Dedreux, die selbst das Down-Syndrom hat, fordert in ihrer Petition mit dem Titel »Menschen mit Down-Syndrom sollen nicht aussortiert werden!«: »Ihr sollt nicht mehr so viel Angst vor uns haben. Es ist doch cool auf der Welt zu sein mit Down-Syndrom.« Bisher haben 15 000 Menschen den Aufruf unterzeichnet. An der anlässlich der Bundestagsdebatte in Berlin veranstalteten Demonstration »Inklusion statt Selektion« nahmen lediglich 100 bis 200 Menschen teil. Behinderung ist in Deutschland immer noch ein Randthema. Und das, obwohl laut Statistischem Bundesamt etwa zehn Millionen Menschen mit Behinderungen in Deutschland leben.