Konsum und Klimawandel

Ablasshandel

Tofu, Bio-Kaffee und Jutebeutel: Umweltbewusster Konsum gehört im linken Milieu zum guten Ton. Doch das Klima wird man damit nicht retten.

Die Liste ist lang: Elektroautos, strom­sparende Waschmaschinen, der in jeder Studenten-WG obligatorische fair ­gehandelte Bio-Kaffee, der Verzicht auf Plastiktüten oder Fleisch. Spätestens seit Anfang der neunziger Jahre gehört sogenannter nachhaltiger und klimaneutraler Konsum zum guten Ton in linken und linksliberalen Milieus. Auch zahlreiche Abschlusserklärungen internationaler Klima- und Nachhaltigkeitskonferenzen legen den Schwerpunkt auf individuelles Handeln.

Das Credo heißt: Fang bei dir selbst an. Das schafft ein gutes Gewissen, aber es kann Fortschritt sogar verhindern. 

Die Idee dahinter ist so einfach wie naheliegend: Wenn alle Menschen ­klimaneutrale Produkte kaufen, werden Ressourcen und Umwelt geschont. Schwindet die Nachfrage, wird die Produktion besonders umweltschädlicher Produkte wie SUVs unrentabel. Eine solche Argumentation ist alles andere als neu, gewinnt aber in der gegen­wärtigen Klimadebatte wieder an Bedeutung; die Frage nach individuellem Konsum wird neu gestellt. Aber ergibt es im globalen Rahmen Sinn, sich mit dem persönlichen CO2-Fußabdruck oder dem Verbot von Plastikstroh­halmen zu beschäftigen?

Folgt man dem Umweltbundesamt (UBA), ist die Frage eindeutig zu be­jahen. Auf der Homepage des Amtes heißt es: »Eine klimaneutrale Gesellschaft ist kein abstraktes Ziel, sondern wird unser Leben in einzelnen Bereichen grundlegend verändern. Immer mehr Menschen setzen einzelne Bausteine bereits um und engagieren sich für ein klimaneutrales Leben in Deutschland.« Auf der Seite kann man sich ­beraten lassen, wie man klimaschonender leben kann und seinen eigenen CO2-Fußabdruck berechnen lassen. Zur Weltklimakonferenz in Katowice hat das »soziale Unternehmen« Hilfswerft ein Bildungsposter zu nachhaltigem Konsum gestaltet. Zwei Mitarbeiter ­haben »über ein Jahr die wichtigsten Erkenntnisse für nachhaltigen Konsum zusammentragen und die wegweisenden Unternehmen und Initiativen in Deutschland identifiziert«. Das soll es Kunden erleichtern, klimagerecht zu konsumieren – bestellbar ist das Poster für 9,90 Euro.

Das Credo hier wie dort: Fang bei dir selbst an. Instrumente wie Kompensationszahlungen bei Flugreisen werden als Möglichkeit angesehen, die Klimaschädlichkeit bestimmter Aktivitäten oder Produkte überhaupt erst ins Bewusstsein zu ­rufen. Sowohl das private Konsumverhalten als auch die Tätigkeiten der ­Unternehmen sollen sich dahingehend verändern, dass sie möglichst wenig zur Erderwärmung beitragen. Durch die Kommodifizierung der Umwelt etwa durch Ausgleichszahlungen erhalte die Ressource gleichbleibendes Klima auch einen Preis auf dem Markt und verliere dadurch den Status einen scheinbar kostenlosen und immer verfügbaren Gutes, das man nach Belieben nutzen könne.

Nachhaltige Produkte boomen und das Bewusstsein für die Klimaschädlichkeit der Produktion und Konsumtion ist so ausgeprägt wie nie zuvor. Soziale Bewegungen tragen dazu bei: Anfang der neunziger Jahre gründeten Kleinbauern und Landarbeiterinnen eine internationale Bewegung unter dem Namen »Ernährungssouveränität«, die sowohl ihre kleinbäuerlichen Landwirtschaft gegen die Aneignung durch große Agrarkonzerne verteidigen wollte als auch Konzepte einer alter­nativen Produktions- und Konsumweise entwarf. Grundlage hierfür sind die kleinflächige Bearbeitung des Bodens sowie regionale Nährstoffkreisläufe und Vertriebssysteme. Der Schwerpunkt liegt auf der möglichst geringen Be­lastung des Klimas und der Produktion von Gebrauchswerten.

Unter dem Schlagwort »Buen vivir« (gutes Leben) stehen viele Kämpfe ­indigener Gruppen in Südamerika, die schonenden Umgang mit der Natur ­anstreben und soziale Ungleichheit ­reduzieren wollen. Sie propagieren einen Gegenentwurf zum westlichen Entwicklungsdenken der vergangenen Jahrzehnte. Sie zeigen ein neues Entwicklungskonzept auf, das sich vom Paradigma unablässig wachsenden  Wohlstands verabschieden will. In Ecuador und Bolivien wird eine neue Be­ziehung mit der Natur angestrebt. Sie gründet sich auf eigenständige Rechte von »Mutter Erde« (madre tierra), die in der Verfassung festgeschrieben sind.

Im deutschsprachigem Raum verbreiteter ist »Degrowth«, die Postwachstumsökonomie. Auf der offiziellen Homepage der ­Bewegung heißt es: »Unter Degrowth verstehen wir eine Wirtschaftsweise und Gesellschaftsform, die das Wohlergehen aller zum Ziel hat und die öko­logischen Lebensgrundlagen erhält. Dafür ist eine grundlegende Veränderung unserer Lebenswelt und ein umfassender kultureller Wandel notwendig.« Vom Ökodorf bis zur solidarischen Landwirtschaft, vom Fahrradfahren bis zum Wohnprojekt und zur ethischen Bank kann alles unter dieser Maxime subsumiert werden. »Die Menschheit muss sich als Teil des planetarischen Ökosystems begreifen. Nur so kann ein selbstbestimmtes Leben in Würde für alle ermöglicht werden.«

Auch wenn es hier nicht allein um individuelles Handeln geht, verkennt man doch die spezifischen Regeln der kapitalistischen Produktionsweise und ihrer globalen Vernetzung. Nur den Konsum und nicht die Produktion von Gütern zu betrachten, ist unzureichend. Am Beispiel Vegetarismus lässt sich dies verdeutlichen: Die Produktion von Nahrungsmitteln ist ein globaler Prozess, in dem verschiedene Länder und Instanzen verbunden sind – von der Landwirtschaft bis zur Infrastruktur. Die Produktion von Rindfleisch verbindet beispielsweise die Weizen- und Maisproduktion in Nordamerika mit den argentinischen Rinderzüchtern und den industrialisierte Mastbetrieben in Europa. Finanz­institutionen und Händler wie große Supermarktketten spielen ebenfalls eine Rolle, bevor die Ware im Kühlfach liegt.

Wer es nun ernst meint mit Vegetarismus, muss diese Verkettungen bedenken und das global vernetzte Produktionssystem kritisieren. Wo aber an­setzen? Ethischer Konsum scheint sich zu verbreiten: Derzeit leben rund acht Millionen Menschen in Deutschland vegetarisch, so das Institut für Demoskopie Allensbach – das sind rund zehn Prozent der Bevölkerung, allerdings waren es einer Forsa-Umfrage von 2001 zufolge damals bereits acht Prozent. ­Einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Skopos zufolge ernähren sich derzeit 1,3 Millionen Menschen in Deutschland vegan, vor drei Jahren ­waren es noch 900 000. Erheblich gestiegen ist der Anteil derer, die bei ­Umfragen angeben, bewusst seltener Fleisch zu essen, 2015 waren es 56 Prozent.

Wenn es mehr Vegetarier gibt, verstärkt das die Tendenz zur Massentierhaltung. 

Die Fleischproduktion in Deutschland aber erhöhte sich bis 2016, sank 2017 um zwei und 2018 um 1,5 Prozent – allerdings stieg die Geflügelproduktion um 3,7 Prozent. Für die Fleischindustrie spielt die steigende Zahl von Vegeta­rierinnen und Veganern eine untergeordnete Rolle. Sinkt die Nachfrage, wird ein Unternehmer zunächst versuchen, die Produktionskosten zu ­senken, um billiger verkaufen zu können, und versuchen, neue Märkte zu ­erschließen – noch billigere Hähnchen für arme Deutsche, Schweinefleisch für die wachsende chinesische Mittelschicht –, für die er angesichts der ­internationalen Konkurrentz ebenfalls möglichst kostengünstig produzieren muss. Die sinkende Nachfrage verstärkt daher zunächst sogar die Tendenz hin zu immer größeren Massentierbetrieben, immer kapitalintensiveren Schlacht- und Verarbeitungsmethoden, Überproduktion von immer mehr und billigerem Fleisch.

Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, dass eine vegetarische Ernährung sinnvoll ist und durch Veganismus herrschende Verhaltens- und Sichtweisen herausgefordert werden können. Radikal in dem Sinne, das Problem an der Wurzel zu fassen, wäre es aber eine Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise und am kapitalistischen Naturverhältnis zu formulieren und gesellschaftliche Gegenentwürfe aufzuzeigen. Ebenso verhält es sich mit Bewegungen wie Buen Vivir und ­Degrowth. Wirkmächtig können sie erst werden, wenn sie eine grund­legende Veränderung der Gesellschaft anstreben, die die Produktion und die Produzenten, also das Proletariat, an zentraler Stelle berücksichtigt. Klima­politik ohne die Arbeiterklasse wird zum Scheitern verurteilt sein. Eine Reorientierung auf Arbeit, Produktion und Arbeiterbewegung schützt vor Schein­lösungen wie dem Verbot von Plastikstrohhalmen. Solchen Maßnahmen können ein gutes Gewissen verschaffen und daher sogar Fortschritt verhindern, wenn Menschen sich damit begnügen, anstatt mit der Plastiktüte nun mit dem Jutebeutel zum Discounter zu gehen, und dabei glauben, das Klima gerettet zu haben. Eine Klimapolitik, die auch den Faktor Arbeit mit in die globale Analyse einbezieht, kann sich nicht auf Konsumkritik ­beschränken, da sie die Frage ums Ganze stellt. Das ist angesichts der drohenden Klimakatastrophe aber auch notwendig.