Der analoge Mann - Aus Kreuzberg und der Welt

Unser Kiez soll schöner werden

Eine Bürgerbefragung als großartige Demokratieerfahrung.
Kolumne Von

Die Kreuzberger Bergmannstraße bietet zur Zeit ein schlimmes Bild. Sie soll zur verkehrsberuhigten Begegnungszone werden; Fußgänger, Fahrradfahrer und Autos sollen die Straße gemeinsam nutzen können. Ein schönes Ziel eigentlich – nur leider hat der Bezirk wahllos irgendwelche Sachen aus dem Katalog der Straßengestaltungsobjekete bestellt. Orangefarbene Sitzgelegenheiten, die aussehen wie Beerbikes ohne Räder – sogenannte Parklets –, große rot-weiße Poller, weiße Rampen und Hunderte auf die Fahrbahn gemalte grüne Punkte sollen den Autoverkehr verlangsamen. Die visuelle Verengung der Straße erzeugt nun eine unangenehme Unübersichtlichkeit. Diese Gadgets der Straßengestaltung sind wie die Horrorbilder auf Zigarettenpackungen: Sie schrecken nicht ab, sie nerven nur. Der Verkehr ist nicht beruhigt, sondern für alle Beteiligten stressiger geworden. Die bunten Objekte sind nutzlos.

Ziemlich schnell regte sich Unmut im Kiez. Der Bezirk reagierte. Im Mai bekamen alle Anwohner eine Ein­ladung zu einer Bürgerbefragung und einem Workshop mit dem Titel: »Wie soll die Bergmannstraße ab 2022 dauerhaft aussehen?« Eine gute Gelegenheit, um mal die Nachbarn zu sehen zu bekommen, die sonst unter den vielen Touristen, die vor ­allem im Frühjahr und Sommer den Bergmannkiez bevölkern, kaum ­erkennbar sind.

Als wir ankommen, ist der Saal schon gefüllt mit grauhaarigen, älteren Leuten und jungen Eltern. Es ist der arbeitende Teil der Nachbarschaft, der sich hier versammelt. Die Nachbarn aus unserem Haus und die vielen Freaks, die tagsüber vor der Markthalle rumhängen, sind nicht gekommen. Den Hinkenden, den Stinkenden, die Tangolehrer, die Motz-Verkäufer sowie den immer braungebrannten und tätowierten Rentner im Muskelhemd kenne ich vom alltäglichen Sehen. Aber hier kenne ich niemanden. »Keine Migranten«, flüstert mir meine Freundin zu. Tatsächlich fehlen auch die vielen Migranten, die schon seit Jahrzehnten im Kiez wohnen. Interessiert sie offensichtlich nicht, was mit der Bergmannstraße passieren soll. Ihre Abwesenheit inspiriert mich heimlich. Mit der vorgestellten oder echten Betroffenheit der Anwesenden kann ich auch nichts anfangen.

Nach einer kurzen Einführung beginnt der Workshop. Der Saal teilt sich in kleine Gruppen. Unsere Vorschläge zur Gestaltung der Bergmannstraße schreiben wir auf kleine Zettel, die an eine Stellwand geheftet  werden. Die Bezirksmitarbeiter wollen unsere Meinung hören. Gleich am Anfang behauptet ein Mann lautstark in der Manier eines Internet-Trolls, dass am Ende sowieso über unsere Köpfe hinweg entschieden würde. Ein kollektives Stöhnen lässt ihn verstummen. Unterschiedliche Meinungen sind zu hören. Es gibt Parklet-Hasser und Parklet-Fans, Autohasser und Autofans, Touristenhasser und sogar Touristenfans. Ein kräftiger Mann um die 70 liefert sich einen kurzen Schlagabtausch mit einem hageren, langhaarigen Mann gleichen Alters. Den Hageren stören die Touristen und die Autos. Die Bergmannstraße nennt er »Latte-Macchiato-Strich«. Er wünscht sich eine Fußgängerzone in der Bergmannstraße. Der Kräftige entgegnet, er wohne seit 47 Jahren im Bergmannkiez. Er sei nicht aus seiner schwäbischen Kleinstadt weggezogen, um bald wieder eine Fußgängerzone vor der Nase zu haben. Ketten wie Starbucks zerstörten das Flair des Kiezes. Er habe auch nichts gegen Touristen. Wir seien schließlich alle gelegent­lich Touristen.

Nach einer halben Stunde wechseln wir zu einer anderen Station. Auch hier wird über den Verkehr diskutiert. Als ich bemerke, dass ich als Fahrradfahrer die Vorfahrtregel in der Bergmannstraße nicht einhalten könne, weil alle anderen Fahrradfahrer sie nicht einhielten und ich mich in Gefahr brächte, wenn ich anhielte und die anderen auf mich aufführen, werde ich zurückgepfiffen. Ich habe vergessen, mich zu melden. Ein demonstrativ breitbeinig dastehender Mann im schwarzen Mantel beschwert sich über mangelnde Parkplätze und rücksichtslose Radfahrer. Der FDP-Typ sieht die Veranstaltung offenbar genauso skeptisch wie ich.

Im Gegensatz zu ihm empfinde ich die Bürgerbefragung jedoch als eine großartige Demokratieerfahrung. Sieben Veranstaltungen mit Beteiligung der Bürger werden folgen. So öffentlich sollte auch über Themen wie Armutsbekämpfung und bezahlbare Mieten diskutiert werden. Leider ist dieses spezielle Thema reine Spielerei. Gut gemeint, aber unwichtig. Die Bergmannstraße mit ihren Dutzenden von Cafés und Restaurants war schon immer eine Begegnungszone. Und noch schöner muss der Kiez wirklich nicht werden. Dann kommen ja noch mehr Touristen.