Alan Vega und seine Band Suicide

Don’t kill yourself, just deal the shit

Alan Vega war der Beckett des Punk. Nun wird das Debutalbum seiner Band Suicide neu aufgelegt.

In einer Fernsehdokumentation aus dem Jahr 1998 erzählte Alan Vega, seine Band Suicide oder wohl besser die Musik, die sie hervorbrachte, sei einmal als »sinnlos« bezeichnet worden, um sich dann selbst zu korrigieren und aus dem »sinnlos« ein »bedeutungslos« zu machen. Alles andere als brüskiert, lehnte Vega sich in seinen Sessel zurück und ver­kündete kichernd und mit einem gewissen Stolz in der Stimme: »Er hat recht, es ist völlig bedeutungslos. Das ist genau, was wir meinten!«

Selbstverstümmelung, Schreie und Schlägereien: Die Konzerte von Suicide arteten regelmäßig aus.

Als nicht nur sinn- und bedeutungslos, sondern als geradezu brüskierend müssen die New Yorker Prä-Punks in den frühen Siebzigern die Konzerte empfunden haben, die die 1971 ­gegründeten Suicide, bestehend aus Alan Vega und Martin Rev, gaben. Wo ist das Schlagzeug, und wo die Gitarre, müssen sie sich gefragt ­haben, denn Vegas und Revs Instrumente bestanden einzig und allein aus einem Synthesizer und einer ziemlich primitiven Drum Machine. Trotzdem schrieben sie schon ­Anfang der Siebziger das Wort »Punk« auf ihre Flyer, um damit für sich zu werben.

Bevor ihre erste Platte veröffentlicht wurde, waren Suicide jahrelang eine Liveband. Vegas Gesang war ­geprägt von durchdringenden, ekstatischen Schreien, die er, wie man ­erzählt, teilweise dadurch hervorbrachte, dass er sich brennende Zigaretten auf den Armen ausdrückte. Mit Selbstverstümmelung kannte er sich aus, zum Bühnenprogramm gehörte es auch, dass er sich schnitt oder mit dem Mikrophon so lange gegen sein Gesicht schlug, bis es blutete. Zum Teil war das eine Strategie, um dem Publikum eins auszuwischen, das nur zu gerne selbst Hand angelegt hätte: Punkkonzerte waren damals Kriegsschauplätze; wenn die Band nicht gefiel, konnte das Publikum sehr wütend werden und die Band verbal und physisch angreifen. Suicide als eine besonders provokante Band traf es umso öfter, da war es nur logisch, dass Vega die Arbeit des Publikums gleich selbst verrichtete. Wenn er nicht sich selbst malträtierte, zerschlug er Bierflaschen über dem Mikrophon. Die Konzerte arteten oft in Schlägereien und Ausschreitungen aus. Vega erklärt sich: »Die Leute gingen zu einem Konzert, um unterhalten zu werden, aber ich habe diese Idee gehasst, dass man auf der Suche nach Spaß zu einem Konzert geht.«

Die Eingängigkeit der Songs auf »Suicide« ist geradezu erbarmungslos, aber nicht in einem brutalen Sinne. Auch süßliche Melodien erklingen neben dem unerbittlichen Drumcomputer.

Über die Frage, ob Punk nun eine bestimmte Form von Musik oder doch eher eine Haltung beschreibt, kann man sich endlos streiten. Im Fall von Suicide wird es fast unmöglich, eine Antwort darauf zu finden, die berühmten drei Akkorde findet man bei ihnen jedenfalls nicht. Sechs Jahre nach ihrer Gründung allerdings etablierte sich eine Art Genrebezeichnung für die Musik der New Yorker Lower East Side. Im selben Jahr, in dem das erste, selbstbetitelte Album von Suicide erschien, brachte Brian Eno eine Compilation mit dem Titel »No New York« heraus, der No Wave war geboren, eine frühe Absage an den New Wave. Die hier versammelten Künstler (allen voran James Chance und Lydia Lunch) hatten trotz ihres brachialen und dilettantischen Sounds von Auftreten und Impetus her große Ähnlichkeiten zum Rock ’n’ Roll der Fünfziger (Chance trug beispielsweise eine riesige ­Tolle). Hier klang nichts nach Glam, Blues oder nach Pop, es ging wild und böse und direkt zu, genau wie bei Suicide. Alan Vega nannte einmal ­Elvis Presley, Roy Orbison und Jerry Lee Lewis seine großen Vorbilder. So wie The Velvet Underground von avantgardistischen Komponisten ­beeinflusst waren und die Rolling Stones vom Blues, so waren es bei Suicide die simplen Rhythmen des Rock ’n’ Roll, denen sie sich verpflichtet fühlten und die sie geradezu lustvoll auseinandernahmen. Später gab es für die Mischung aus punkiger Attitüde und Rock ’n’ Roll-Melodie auch eine eigene Bezeichnung: Psychobilly.

»Suicide«, das Anfang Juli wiederveröffentlicht wird, besteht aus nur sieben Songs. Bereits wissend, dass die Musik in den USA kein großes Publikum finden würde, wurde das Album, seinerzeit von dem frisch ­gegründeten Label Red Star veröffentlicht, mit Blick auf den europäischen Markt produziert, der offener war für musikalische Experimente. Die US-amerikanische Avantgardeband Tuxedomoon beispielsweise zog in den frühen Achtzigern komplett nach Brüssel, weil sie meinte, ihre Musik werde dort mehr wertgeschätzt. Der Produzent von »Suicide«, Marty Thau, resümierte, es sei darum gegangen, mit der Platte Einfluss auf bestimmte Kreise zu nehmen und gute Verkaufszahlen in Europa zu erzielen. Vor allem in Frankreich waren Suicide sowie Alan Vega als Solokünstler sehr erfolgreich.

»Suicide« ist ein äußerst merkwürdiges Album. Die teilweise von Vega improvisierten Verse klingen wie Kinderreime, manche Lieder wie »Cheree« tragen sogar einen Anklang von Schlager in sich, während »Frankie Teardrop« von einem Mörder handelt, der seine Familie umbringt, und aus dessen nervöser Kakophonie man elf Minuten lang nicht entlassen wird. Die Eingängigkeit der Songs ist geradezu erbarmungslos, aber nicht in einem brutalen Sinne wie beispielsweise beim Industrial von Throbbing Gristle; auch süßliche Melodien erklingen neben dem ­unerbittlichen Drumcomputer. Verwunderlich, dass David Lynch nie ­eines der Stücke für einen seiner Filme benutzt hat. Zu seinen unheim­lichen Bildern würde dieser Sound gut passen. Die Platte wurde 1977 kaum beachtet, erst später stellte sich der Ruhm ein. Sie sorgte allerdings schon früh für einen merkwürdigen Kultstatus, den vor allem Vega seither genoss. Dieser wusste ihn für sich zu nutzen und kokettierte gerne mit dem Image einer Legende, indem er zum Beispiel falsche Geburts­daten nannte und man so jahrzehntelang dachte, er sei zehn Jahre jünger, als er tatsächlich war. Vega verstarb 2016.

Man muss sich vorstellen, dass es in der Zeit der Erstveröffentlichung wenig elektronische Musik gab, die Rezeption also keine Orientung in der Vergangenheit hatte. Heutzutage werden Suicide gern als Pioniere des Techno angeführt, in Wirklichkeit aber waren sie zu allererst Inspiration für unzählige Punkbands, vor allem für Henry Rollins, den Sänger von Black Flag und langjährigen Freund Vegas. Geschätzt wurden sie für ihre musikalische Kompromisslosigkeit, nicht für ihre musikalischen Mittel. Doch nicht alle ­waren glücklich: Der Musikkritiker Robert Christgau nennt sie »arty bullshit«.

Die Diskographie von Suicide zählt nur fünf Langspielplatten, beide Bandmitglieder brachten aber regelmäßig Soloalben heraus. Vega machte als queerer Cowboy weiter und ­feierte mit seinem Rockabilly-Album »Alan Vega« sogar kommerziellen Erfolg, bis er sich, wie Rev, dem Noise zuwandte. Die Alben »Clouds of ­Glory« und »Cheyenne« von Martin Rev wurden jüngst ebenfalls neu aufgelegt.

Alan Vega ist oft mit großen Schriftstellern verglichen worden, mit Dostojewskij, mit F. Scott Fitzgerald oder auch mit Samuel Beckett. Der Vergleich mit Letzterem, den der französische Musikjournalist Bruno ­Bayon einst in Liberation anstellte, ist besonders einleuchtend: Vega schaffte es nämlich wie Beckett, »ein wenig« durch »fast nichts« zu er­setzen, wie es Bayon formulierte. Die Geräusche so lange zu wiederholen, bis sie absurd werden, die Konvention mit völliger Missachtung zu strafen, mit nur zwei Instrumenten etwas komplett Neues zu erschaffen, das zwischen totaler Bedeutungslosigkeit und großer ästhetischer Kraft pendelt, das haben Suicide geschafft.

Suicide: Suicide (Mute/BMG). Martin Rev: Clouds of Glory/Cheyenne (Bureau B).