Small Talk über den Gefangenen Sven Herhold

»Gezielte Repressalien«

Der Häftling Sven Herhold wird trotz schwerer Verletzungen zur Arbeit gezwungen.
Interview Von

Ein umfangreicher Knorpelschaden, Mikrofrakturen und Knochenabsplitterungen im Kniegelenk – das sind denkbar schlechte Voraussetzungen, um zur Arbeit zu gehen. Angaben der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) zufolge soll der ­gewerkschaftlich organisierte Gefangene Sven Herhold in der Justizvollzugsanstalt Rosdorf trotz solcher Verletzungen der in niedersächsischen Gefängnissen ­geltenden Arbeitspflicht nachkommen müssen. Manuel Matzke von der GG/BO hat mit der Jungle World über den Fall gesprochen.

Wie hat sich Sven Herhold die Verletzungen zugezogen?
Sven hatte am 12. November vergangenen Jahres in der JVA einen Sportunfall. Er hat sich beim Fußballspielen das Knie verdreht.

Wie geht es ihm zurzeit?
Ihm geht es schlecht. Das Knie sieht sehr schlimm aus. Seine Familie, die ihn regelmäßig besucht, hat mir bestätigt, dass sich dessen ­Färbung von lila zu schwarz entwickelt. Da wir als GG/BO den Fall betreuen, habe ich beinahe täglich Kontakt mit ihm, mit seinem Rechtsanwalt und seiner Familie.

Wird er denn medizinisch behandelt?
Die medizinische Behandlung ist ebenfalls schlecht. Der medizinische Stab in der JVA Rosdorf besteht aus drei Ärzten, einer von ihnen ist der medizinische Leiter dieser Abteilung. Die anderen beiden Ärzte befürworten eine Haftunterbrechung, um eine Operation an dem verletzten Knie zu ermöglichen, was dringend notwendig wäre. Der medizinische Leiter blockiert das und hat Sven Arbeitsfähigkeit bescheinigt. Der Verlauf des Krankheitsfalls ist dokumentiert und liegt uns vor, wir wissen also genau, welche Schritte wann unternommen wurden.

Entscheidet dieser medizinische Leiter in letzter Instanz über die Arbeitsfähigkeit der Gefangenen?
Ja. In Niedersachsen besteht die gesetzliche Arbeitspflicht für Häftlinge. Sven kann zurzeit allerdings nur mit Krücken laufen.

Musste Sven Herhold tatsächlich zur Arbeit antreten?
Er hatte solche Schmerzen, dass er sich an einen der anderen Ärzte wandte. Dieser war so vernünftig, ihn bis einschließlich 9. Juli krankzuschreiben und auf eine schnelle Klärung über einen Anwalt zu drängen.

Wie lässt sich das Verhalten des medizinischen Leiters erklären?
Sven hat gegen ihn Strafanzeigen wegen der Verletzung der Schweigepflicht – der Arzt hat mutmaßlich sensible Daten ohne Svens Einwilligung weitergegeben – und wegen unterlassener Hilfeleistung beziehungsweise Behinderung der Hilfeleistung gestellt. Daraufhin hat der Arzt vor Zeugen gesagt: »Ich schreibe Sie nicht länger krank. Sie müssen arbeiten gehen.« Zudem hat der Arzt eine Anweisung erlassen, dass nur er selbst Sven behandeln darf. Das erweckt schon den Eindruck, dass es sich um gezielte Repressalien handelt und der leitende Arzt aus persönlichen Befindlichkeiten seine Macht ausspielt.

Was unternimmt die GG/BO in dem Fall?
Wir versuchen, über den niedersächsischen Landtag, beispielsweise über die Ausschüsse für den Justizvollzug, mehr Bewegung in die ­Sache zu bringen. Wir sind zudem an die Bundesärztekammer herangetreten. Es gibt auch einen Antrag auf Haftunterbrechung. Die dafür zuständige Rechtspflegerin hat die JVA bereits mehrfach gebeten, dazu Stellung zu nehmen. Bislang hat die JVA das aber nicht getan.

Lässt sich generell ein repressives Vorgehen gegen Gefangene beobachten, die sich für bessere Bedingungen einsetzen oder sich gewerkschaftlich organisieren?
Ja. Häftlinge, die Gewerkschaftsarbeit machen oder sich mit Nachdruck gegen Missstände engagieren, sind schneller Repressalien ausgesetzt als andere. Dann werden Haftlockerungen verweigert, Leute werden an andere Orte verlegt, psychologische Einstufungen werden vorgenommen, die Postkontrolle wird verschärft.