Klima und Eigentum

Radikaler Realismus

Mein Haus, mein Auto, mein Acker? Wer das Klima retten will, muss sich von der Unantastbarkeit des Privateigentums verabschieden.

Während in ganz Deutschland die Klimadebatte tobt, ist viel von dem, was gegen den Klimawandel getan werden könnte, schon unzählbar oft gesagt worden. Hierzulande sind die meisten Argumente spätestens seit dem Bundestagswahlkampf 1990 bekannt, als die Grünen (das muss man ihnen bei al­ler Kritik lassen) einen »Klimawahlkampf« führten – damit aber im nationalen Einheitstaumel den Einzug in den Bundestag verpassten.

Wir erleben in der EU eine neue Form des preußischen Junkertums der Vorkriegszeit.

Welche Politik man konkret macht und mit welchen Bündnispartnern, ist abhängig von der gewählten Herangehensweise. Man kann grob vier unterscheiden, die Grenzen sind fließend. Da wäre zuerst einmal die gute alte Revolution – »auf zum letzten Gefecht«, wie es in der Internationale heißt. Also Abschaffung des Kapitalismus, des Privateigentums an Produltionsmitteln und so weiter. Diese Option gestaltet sich derzeit schwierig.

Somit kommt man gleich zur zweiten Option: staatliche Interventionen in die Wirtschaft. Dies läuft auf eine demokratische Planwirtschaft auf globaler Ebene hinaus, wie sie auch Jörn Schulz vorgeschlagen hat.

Die dritte Möglichkeit besteht in beruhigender Symbolpolitik. Hier befindet man sich auf der derzeit viel diskutierten Lifestyle-Ebene und versucht, mit verändertem individuellem Konsumverhalten, etwa dem Kauf von fair gehandelten, biologischen, veganen und »nachhaltigen« Produkten, die Welt zu retten. Auch die Kohlendioxidsteuer, die ärmere Menschen stärker trifft, gehört hierher.

Als vierte Option bleibt, einfach weiterzumachen wie bisher: Hier findet man die sogenannten Klimaleugner und diejenigen, die dem praktizierten Wirtschafts- und Politikmodell genügend Selbstheilungskräfte zuschreiben. Die Anhänger dieser Option sind bestenfalls zu verbalen Zugeständ­nissen bereit, versuchen sich, wenn sie klug sind, in Lippenbekenntnissen ­gegenüber der »Fridays for Future«-Bewegung, wollen aber, dass alles beim Alten bleibt.

Pragmatismus und Realpolitik

Das Gros der linken ­Debatte – von Intervention kann man nur ausnahmsweise reden – hält sich mit der zweiten Option (Staatsinterventionen) auf und macht punktuell Anleihen bei der dritten (Konsumverhalten). ­Dabei ist entscheidend, welche Rolle man dem Staat zuschreibt: etwa die des neutralen Sachwalters, der mit dem richtigen Druck zu guten Entscheidungen genötigt werden kann. Dies entspricht der Auffassung des griechischen Soziologen Nicos Poulantzas (1936–1979), der den Staat »als materielle Verdichtung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse« definierte und damit als veränderbar ansah.

Oder man folgt eher der klassischen marxistischen Staatskritik, die den Staat nicht als neutral ansieht, sondern als Verwalter des kapitalistischen Gesamtinteresses. Demnach kann es vorkommen, dass der Staat gegen die Interessen einer Kapitalfraktion entscheidet, wenn das Gesamtinteresse zu leiden droht, und daher beispielsweise der Einführung eines Mindestlohns zustimmt. Meist werden dann wie bei der rot-grünen Koalition von 1998 bis 2005 die Parteien an die Regierung gelassen, die einige Impulse gesellschaft­lichen Protests aufgreifen, sofern sich dadurch das Wirtschaftswachstum nicht verlangsamt. Diese Parteien setzen in der Regel eine Politik durch, die ­unter ihren Vorgängern nicht oder nur schwer durchsetzbar gewesen wäre. Das entspricht in weitesten Sinne dem, was der Politologe Johannes Agnoli in den sechziger Jahren als »Transformation der Demokratie« bezeichnete.

Auf der Handlungsebene sind drei große Bereiche zu unterscheiden. In ­jedem davon sind schon Vorarbeiten geleistet und im Duktus des Pragmatismus und der Realpolitik wissenschaftlich und politisch machbare Alternativen erarbeitet worden. Der erste Bereich ist Verkehr, Mobilität und Energie. Hier könnte eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 120 km/h auf Autobahnen und 30 km/h innerorts viel Hektik aus dem Alltag nehmen und gleich­zeitig den Schadstoffausstoß in ­relevantem Ausmaß senken. Ein anderer Strang wäre die absolute Priori­sierung des schienengebundenen und fahrscheinlosen öffentlichen Personennahverkehrs, und zwar auch und besonders im ländlichen Raum. Mit Letzterem haben Linke zwar meist nicht viel am Hut, aber diese Kröte wäre zu schlucken – dem Klima zuliebe. Und wenn man dann noch die längst fällige Flugbenzinbesteuerung hin­bekäme und Flughäfen in Deutschland wie Braunkohletagebau sehen würde, wäre nicht nur in der Phantasie der Klimaschützer viel erreicht. Energie müsste dezentral erzeugt werden, ohne für Agrotreibstoffe hier und im globalen Süden Land in Beschlag zu nehmen.

Realpolitik muss sich radikalisieren

Der zweite Bereich ist die Landwirtschaft. Wer sagt, dass Land Privat­eigentum sein muss? Es ist denkbar, dass das ­bebaubare Land Gemeinbesitz ist und von Bauern lebenslang gepachtet wird. Derzeit erlebt man in der EU in puncto Landaufkauf und -konzentration sozusagen eine neue Form des preußischen Junkertums der Vorkriegszeit. Ebenso wenig gehört Saatgut in Privatbesitz. Wenn es Alllgemeingut ist, wird man eher auf Ertragssicherheit und nicht auf Hochertrag züchten. Und wenn der Gewinndruck fällt, wird man wohl nebenbei auch eine größere Vielfalt züchten. Auch die sogenannten Nachbaugebühren, mit denen Bauern finanziell geknechtet werden, würden dann der Vergangenheit angehören.

Das dazu passende Leitbild wäre die Ernährungssouveränität. Der Begriff hat die internationale Landlosenbewegung »Via Campesina« geprägt. Er ­beschreibt das gemeinsame Aushandeln dessen, was in einer Gesellschaft produziert und verarbeitet wird, mit welchem Saatgut und wer dies wie macht. Zu einer anderen Landwirtschaft gehört auch die Reduzierung des Fleischkonsums. Was spricht eigentlich dagegen, dies gesellschaftlich aus­zuhandeln und via Bezugsscheinen zu organisieren? Die Alternative dazu ist, das Feld der »Weiter so«-Fraktion zu überlassen oder sich mit dem klein­karierten Dogmatismus von Veganern, Tierrechtlern und moralinsauren Ökos abzufinden. Denn »bio« ist eine andere Anbaumethode, aber kein an­deres Wirtschaftssystem.

Damit Linke sich an diesem Prozess beteiligen, müssten sie ihre Distanz zu den Kämpfen von Bauern und Bäuerinnen aufgeben. Hand aufs Herz: Wie viele Linke haben sich schon an den politischen Kämpfen des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter beteiligt? Dieser Verband versucht ­jenseits der Wachstumsfanatiker des Deutschen Bauernverbands und ­jenseits der »An Bio soll die Welt genesen«-Fanatiker, mehr Teilhabe für Bauern zu erreichen, zum Beispiel durch eine favorisierte Milchmengensteuerung, die bislang von der EU ­abgelehnt wird.

Der dritte Bereich betrifft Wohnungen. Es gibt zwar weder ein Recht auf Stadt noch ein Recht darauf, sich mit einem dicken Konto jede große Wohnung in der Stadt oder auf dem Land leisten zu können. Sehr wohl aber ein Recht auf Wohnen für alle, das gesellschaftlich auszuhandeln wäre. Da wird man manch einem mit 200 oder 300 Quadratmetern Wohnfläche für zwei oder drei Personen auf die Füße treten müssen. Und dass in der Ökometropole Freiburg über 160 Hektar Ackerfläche platt gemacht werden ­sollen, um dem immensen Wohnungsbedarf gerecht zu werden, entspricht genau dem Denken jener alten Ökoideologen, die viel im Symbolischen agieren, aber nichts systemisch verändern wollen.

Was es braucht, ist eine radikale Realpolitik. Egal wie man es dreht: Es wird Paradigmenwechsel und für einige im privaten und vor allem im Hamsterrad der Makroökonomie Einschnitte geben müssen. Sowohl von der Vorstellung »mein Haus«, »mein Land«, »mein Auto« wie auch von der Unantastbarkeit von Privateigentum wird man sich ­verabschieden müssen.