Mit einer neuen Strategie erzielte die russische Opposition bei den Regionalwahlen Erfolge

Die taktische Wahl

Mit einer neuen Strategie gelang es der Opposition, einigen ihrer Kandidaten bei den russischen Regionalwahlen am 8. September zum Sieg zu verhelfen. Die Regierung reagiert mit verstärkter Repression.

Dmitrij Medwedjew ist zufrieden. Wieder einmal, denn die Dinge schönzureden gehört zum Amtsgeschäft als Ministerpräsident und Vorsitzender der Partei Einiges Russland. Nach den Parlaments-, Gouverneurs- und Bezirkswahlen, die am 8. September in vielen Regionen Russlands stattfanden, kons­tatierte er, dass seine Partei die führende politische Kraft im Land bleibe. Ein mächtiger Apparat hatte all seine Ressourcen eingesetzt, um der Partei Ei­niges Russland vorzeigbare Resultate zu ermöglichen.

Vor einem Jahr, als ebenfalls in vielen Regionen Wahlen stattfanden, erlitt die Partei dennoch einige Niederlagen. Überraschenderweise trug bei den Gouverneurswahlen in Chabarowsk der ­Kandidat der rechtsextremen Liberaldemokratischen Partei (LDPR) von Wladimir Schirinowskij den Sieg davon, in der sibirischen Region Chakassien gewann die Kommunistische Partei (KPRF). Bei den jüngsten Wahlen zum Chabarowsker Gebietsparlament konnte die LDPR ihren Vorsprung ausbauen und verwies das Einige Russland auf den dritten Platz noch hinter der KPRF. Skeptiker glauben, dass die de facto systemkonforme LDPR mit Hilfe der russischen Regierung die wirtschaftlich schwache Region weiter schwächen soll, um zu demonstrieren, was passiert, sollten andere Kräfte als die Regierungspartei an die Macht kommen.

Wer wo wann im Hintergrund mitmischt, lässt sich im alles andere als transparenten russischen Politikgeschäft nicht immer nachvollziehen. Tatsache ist, dass die Wahlen zum Moskauer Stadtparlament keineswegs fair verliefen. Bei den oppositionellen Kandidaten waren fast ausschließlich solche zugelassen, die von Parteien aufgestellt wurden, während unabhängige Oppositionelle von der Wahlkommission ­reihenweise abgelehnt worden waren. Nach Beginn der Proteste gegen diese Form staatlicher Willkür mussten einige Kandiaten mehrmalige Administrativhaftstrafen wegen Aufrufs zu nicht genehmigten Demonstrationen absitzen. Der Oppositionspolitiker Ilja Jaschin wurde fünf Mal in Folge zu jeweils zehn Tagen Arrest verurteilt.

Genutzt hat es den Machthabern wenig. Von 45 vergebenen Sitzen gingen 13 an die KPRF, vier an die liberale Partei Jabloko und drei an die Partei Gerechtes Russland. Wer von diesen Abgeordneten sich mit der Partei Einiges Russland anlegen wird, ist offen, aber anders als bei früheren Wahlen wurde die Dominanz der Regierungspartei in Frage gestellt.

 

Dieser Erfolg der Opposition geht auf eine neue Strategie zurück. Aleksej Nawalnyj, ein führender Oppositioneller, der wegen seiner Vorstrafe keine öffentlichen Ämter ausüben darf, rief dazu auf, taktisch zu wählen. Für jeden Wahlkreis benannte er einen Kandidaten, für den alle Oppositionswähler stimmen sollten. Persönliche politische Präferenzen sollten zweitrangig bleiben. Der Erfolg gab Nawalnyj recht. Auf diese simple Weise gelang es sogar, dem bisherigen Fraktionsvorsitzenden des Einigen Russland, Andrej Metelskij, sein Mandat in der Moskauer Duma abzunehmen. Die von der Regierung favorisierte Valerija Kasamara scheiterte in dem Moskauer Wahlkreis, in dem Jaschin kandidieren wollte, aber nicht durfte. Jaschin rief kurzerhand dazu auf, für Magomed Jandijew vom Gerechten Russland zu stimmen. Dass ein Tschetschene bei Lokalwahlen in der Hauptstadt gewinnt, ist eine kleine Sensation. Kasamara erklärte ihre herbe Niederlage prompt damit, dass die muslimische Bevölkerung für Jandijew gestimmt habe.

Nur kann keine Seite für sich in Anspruch nehmen, über großen Rückhalt in der Bevölkerung zu verfügen. Die Wahlbeteiligung lag in Moskau bei 21 Prozent. Die meisten Moskauerinnen und Moskauer stehen der Wahl gleichgültig gegenüber – entweder, weil sie nicht an Veränderungen glauben, oder aber, weil die Regierung auch ohne die Zustimmung vieler Wähler auszukommen scheint. In zwei Jahren sollen die nächsten Wahlen zur Staatsduma stattfinden, die für die Regierung eine viel größere Rolle spielen, und sei es nur zur Legitimierung ihrer Herrschaft. Insofern dürften die jüngsten Stimmenverluste in der Präsidialverwaltung eine gewisse Besorgnis ausgelöst haben. Der Polizeiapparat jedenfalls reagierte mit landesweiten Hausdurch­suchungen bei Anhängern Nawalnyjs, während in Moskau in Schnellgerichtsverfahren erste harte Urteile gegen ­Demonstrationsteilnehmer gefällt werden.

Am Tag vor den Wahlen beendeten die Regierungen Russlands und der Ukraine ein anderes Drama, das die internationale Öffentlichkeit die vergangenen Jahre weitaus mehr beschäftigt hatte. Nach langen und zähen Verhandlungen durften 35 ukrainische Gefan­gene aus Russland ausreisen, darunter der Regisseur Oleg Senzow und der Anarchist Oleksandr Koltschenko, die wegen Terrorismus zu 20 beziehungsweise zehn Jahren Haft verurteilt worden waren. Im Gegenzug durfte die gleiche Anzahl meist weniger prominenter russischer Gefangener aus der Ukraine zurückkehren, wenngleich nicht alle von dem Angebot Gebrauch machten. Dies weckte die Hoffnung, dieser überfällige Schritt könnte neue Impulse für Verhandlungen über die festgefahrene Situation im Donbass liefern. Aber noch sieht es nicht danach aus.