Die Zahl der Waldbrände in Brasilien ist gestiegen, nicht zuletzt, weil Präsident Jair Bolsonaro die Umweltbehörde geschwächt hat

Nichts tun, wenn es brennt

Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro hat sein Wahlkampf­versprechen gehalten, die Umweltgesetze weniger streng durchzusetzen. Die katastrophalen Brände in Amazonien sind eine Folge dieser Politik.

»Wir schreiben hier gerade Geschichte«, sagte der kolumbianische Präsident Iván Duque am 6. September in Leticia. In der kolumbianischen Stadt im Länderdreieck zwischen Peru, Kolumbien und Brasilien hatten sich Staatspräsidenten und Regierungsvertreter aller Anrainerstaaten des Amazonas-Gebiets getroffen. Kolumbien und Peru hatten das Treffen wegen der verheerenden Waldbrände in der Region anberaumt, zum Abschluss unterzeichneten die Anwesenden den Pakt von Leticia, in dem sie versprechen, zukünftig den größten Wald des Planeten besser zu schützen. Kritiker teilen allerdings Duques Optimismus nicht und bemängeln, dass das Abkommen nur schwammige Absichtsbekundungen enthalte. Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro war dem Treffen ohnehin fern­geblieben – aus gesundheitlichen Gründen, wie es hieß.

»Die Brandstifter wurden von den Erklärungen des Präsidenten angespornt.«

Jedes Jahr brennt es in Amazonien. Viele Brände werden gelegt. Grundbesitzer gewinnen so Agrarland, Viehzüchter brennen zugewachsene Viehweiden ab, damit das Gras nachwachsen kann. Auch Kleinbauern brennen brachliegende Parzellen ab, um sie neu zu bepflanzen. Doch dieses Jahr waren es nach Angaben des brasilianischen ­Instituts für Weltraumforschung bereits Ende August doppelt so viele Brände wie im gesamten Jahr zuvor – und die Trockenzeit ist noch nicht zu Ende.

Präsident Bolsonaro wird direkt verantwortlich gemacht für die Umwelt­katastrophe. Schließlich hat er nie einen Hehl daraus gemacht, dass er von Umweltpolitik nicht viel hält; Ende Juni hatte er in einer Rede gesagt, dass die »Umweltfrage nur für Veganer, die ausschließlich Gemüse essen«, interessant sei. Eines seiner wichtigsten Wahlkampfversprechen war es, die »Bußgeldindustrie« stillzulegen. Er ist der Meinung, dass die Umweltbehörde Ibama mit ihren Auflagen und Bußgeldern für Bergbau- und Agrarunternehmen, die gegen Umweltgesetze verstoßen, den wirtschaftlichen Fortschritt des Landes behindere.

Umweltminister Ricardo Salles hat in diesem Sinne gehandelt. Von Bolsonaros Amtsantritt Anfang des Jahres bis August hat die Ibama landesweit ein Drittel weniger Bußgelder verhängt als im Jahr zuvor, wie die BBC in einer Studie ermittelte. In den neun brasilianischen Bundesstaaten Amazoniens sank die Zahl der verhängten Bußgelder wegen Verstößen gegen die Waldgesetze sogar um 42,2 Prozent.

 

»Trockenes Wetter, Wind und Hitze«, seien die Gründe für die Brände, behauptete Salles am 20. August. Dem widersprechen viele Kritiker vehement. »Nichts davon ist ein Unfall«, sagte Paulo Artaxo, Physiker an der Universtität von São Paulo und Spezialist für die Auswirkung von Aerosolen auf das Klima, der Wissenschaftszeitschrift Science. »Was wir sehen, ist das Ergebnis einer Reihe von Handlungen und Unterlassungen der brasilianischen Regierung.« Die Flammen wüteten nach ­einem Muster, das typisch für die Entwaldung an der Landwirtschaftsgrenze sei, so Artaxo.

»Er hat alle Fehler begangen, die möglich sind«, bewertete Marina Silva, die von 2003 bis 2008 brasilianische Umweltministerin war, im Gespräch mit der BBC die Politik ihres Amtsnachfolgers Salles. »Die Brandstifter wurden mit Sicherheit von den Erklärungen des Präsidenten angespornt, denn er versicherte ihnen ja, dass sie straffrei bleiben würden.«

Vor den katastrophalen Auswirkungen der Umweltpolitik der Regierung hatten Experten bereits vor Monaten gewarnt. Einige Juristen, die auf Umweltrecht spezialisiert sind, stellten am 30. Mai in einem offenen Brief an Bol­sonaro und Salles fest: »Es ist nicht die Aufgabe des Umweltministeriums, die Interessen von wirtschaftlichen Gruppen zu verteidigen.« Sie erinnerten auch daran, dass bestimmte Umweltauflagen, die Bolsonaro und Salles immer wieder kritisierten, in der Verfassung von 1988 festschrieben sind.

Auch international wird Bolsonaro kritisiert. Insbesondere der französische Präsident Emmanuel Macron tat sich hervor, er erklärte Ende August die Brände zu einer »internationalen Krise« (Jungle World 35/2019). Damit schürte er allerdings den brasilianischen Nationalismus, in Brasilien ist die Verschwörungstheorie, dubiose Kräfte strebten die »Internationalisierung« Amazoniens an, weit verbreitet. Doch auch in Brasilien wuchs die Unzufriedenheit mit der Untätigkeit der Regierung, selbst bei jenen, die Bolsonaro gewählt haben. Schließlich konnte man die Brände selbst im weit vom Amazonas-Becken entfernten São Paulo nicht ignorieren. Am 19. August sorgte der Rauch zusammen mit einem Tiefdruckgebiet dafür, dass sich der Himmel über der Stadt verdunkelte.

Schließlich sah sich Bolsonaro genötigt zu reagieren. Am 23. August sagte er auf einer Pressekonferenz, dass er »eine tiefe Liebe für Amazonien« fühle. Er versprach, dass die Regierung »null Toleranz« bei Umweltverbrechen zeigen werde und kündigte an, Militär zur Bekämpfung der Brände zu entsenden.

Doch am 28. August traf sich Bolsonaro mit den Gouverneuren der neun amazonischen Bundesstaaten. Es ging weniger um den Schutz des Waldes als um den Ausbau der Infrastruktur und die Förderung des Bergbaus in der Region. Dabei kam das Regierungsprojekt zur Sprache, in indigenen Schutzgebiete auch gegen den Willen der dortigen Bevölkreung Bergbaukonzessionen zu vergeben. Viele Aktivistinnen und Aktivisten weisen darauf hin, dass dieses Gesetz gegen die Verfassung verstoße. Doch sieben der neun anwesenden Gouverneure signalisierten Zustimmung zu Bolsonaros Plänen.

 

Um Bergbauprojekte und die Expansion der Landwirtschaft in der Region zu fördern, plant Brasilien riesige Infrastrukturprogramme. Straßen, Eisenbahnlinien und Staudämme sollen entstehen. Einen Teil der Projekte gab es bereits zur Zeit der Regierung der Arbeiterpartei (PT). Bolsonaro will sie fortführen und ausweiten. Ende 2016 hatte die damalige Regierung angekündigt, zukünftig weniger Wasserkraftwerke in der Region zu bauen. Diese Entscheidung will Bolsonaro rückgängig machen, um die »regionale Entwicklung« voranzutreiben.

»Von dieser Entwicklung profitieren aber nur die Unternehmen, die Kapitalbesitzer. Die Bevölkerung in Amazonien hat nichts davon«, sagt Iremar Ferreira von der NGO Instituto Madeira Vivo der Jungle World. »Der Strom der Kraftwerke in Amazonien soll nur die großen Bergbauprojekte versorgen.« Ferreira wohnt in einem Dorf am Fluss Madeira, wenige Kilometer unterhalb des 2016 fertiggestellten Wasserkraftwerks Santo Antonio. Im Dorf kommt der Strom immer noch von einem Dieselkraftwerk, während die Hochspannungsleitungen vom Wasserkraftwerk unmittelbar am Dorf vorbeiführen. »Die Politik und die Unternehmen erfinden irgendwelche Projekte, damit es wirtschaftliche Entwicklung gibt. Ihnen wäre es auch recht, wenn es einfach nur ein Loch wäre, das sie mit Zement füllen. Hauptsache, sie können damit Profit machen. Dieses Gerede von regionaler Entwicklung ist reiner Schwindel«, meint Ferreira. Der beste Schutz für den Wald sei die lokale Bevölkerung. Die Landwirtschaft, wie sie Indigene und Kleinbauern an den Flussufern betrieben, sei wesentlich ökologischer als Viehwirtschaft oder der Anbau von Soja in Monokultur. Hier gebe es auch Entwicklungsmöglichkeien und Potential für technische Verbesserungen – doch für diese Bevölkerungsgruppen sind keine teuren Infrastrukturprogramme geplant.

Eine Studie von Wayne Walker vom Woods Hole Research Center, einem vom UN-Klimarat IPCC ausgezeichneten Think Tank, zeigt, dass in indigenen Territorien der Wald wesentlich besser vor illegalen Rodungen geschützt ist als in Naturschutzgebieten. Doch Bolsonaro lehnt die Ausweisung neuer indigener Schutzgebiete ab. Wer sich für indigene Territorien einsetzt, lebt gefährlich. Am 6. September wurde Maxciel Pereira dos Santos in der Stadt Tabatinga auf offener Straße ermordet, mutmaßlich waren Holzhändler die Auftraggeber. Er arbeitete für die Indigenenschutzbehörde Funai an der Ausweisung eines Schutzgebiets im Vale do Javari. Tabatinga liegt am Amazonas, nahe der Grenze zu Kolumbien. Auf der anderen Seite der Grenze liegt ­Leticia, wo am selben Tag der kolumbianische Präsident Duque behauptete, Geschichte zu schreiben.