Die Gedenkstätte in der belgischen Festung Breendonk, in der die SS einst Häftlinge folterte

Die Hölle von Breendonk

Die Festung Breendonk war einer der bedeutendesten Schreckensorte des nationalsozialistischen Besatzungsregimes in Belgien. Auch Jean Améry wurde dort gefoltert. 75 Jahre später ist die heutige Gedenkstätte Breendonk im Ausland nahezu unbekannt.
Reportage Von

Nachmittagssonne auf der Oberfläche des Wassers in dem Graben, der die Festungsanlage umschließt. Gänse watscheln über eine Zugbrücke. Grillen zirpen in den umliegenden Wiesen. Ansonsten ist es still. Die Szenerie wirkte idyllisch, wären da nicht der Wachtturm, der sich im Hintergrund ­erhebt, und der Deportationswaggon, der jenseits der Festungsmauern ab­gestellt wurde, obwohl hierher nie ein Zug gefahren ist.

Breendonk heißt die Festung, die auf halbem Weg zwischen Brüssel und Antwerpen liegt und wie kein anderer Ort in Belgien für den Terror der Naziherrschaft steht. Hier wurden die Widerstandskämpfer eingekerkert, bevor man sie in die Konzentrationslager verschleppte. Hier wurden auch Juden eingesperrt, ehe man mit ihrer Deportation in die Vernichtungslager begann und ehe die SS im nahe gelegenen Mechelen ein eigenes »Sammellager« für Juden und »Zigeuner« errichtete.

»Bei den meisten Todesfällen und Misshandlungen wardie flämische SS im Spiel.«
Dimitri Roden, Kurator der Gedenkstätte Breendonk

Die Festung Breendonk wirke auf den ersten Blick »sehr alt, fast historisch«, schrieb ein Besucher über die Anlage »mit ihren grasüberwachsenen Kuppen und schwarzgrauen Mauern«. Doch der das schrieb, wusste, dass nichts an diesem Bau einfach nur historisch und abgegolten ist.

Er war schon einmal da gewesen. Damals hatte ihn die Gestapo hierher verschleppt. Der ehemalige Häftling ist Jean Améry. Seinen 1965 veröffentlichten Bericht über das Schreckliche, »Die Tortur«, die ihm hier widerfahren war, ließ er mit seiner Rückkehr nach Breendonk, 22 Jahre danach, beginnen. Améry beschrieb die »feuchten, kelle­rigen Korridore« und die schweren ­Gittertore, durch die man geht, nachdem man das Haupttor passiert hat. Sie prägen noch heute den ersten Eindruck von der Festung.


Vom Fort zum Gefängnis der SS

Kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs zur Verteidigung der Hafenstadt ­Antwerpen gebaut, wurde die Festung nach der Kapitulation Belgiens 1940 von der SS in ein »Auffanglager« umgewandelt. Zunächst wurden dort nicht nur politische Oppositionelle, sondern auch zu Haftstrafen Verurteilte eingesperrt. »Die Zahl der Gefangenen war bis zum Sommer 1941 eher niedrig«, sagt Dimitri Roden, der wissenschaftliche Kurator des Forts, das mittlerweile eine nationale Gedenkstätte ist. »40 bis 60 Gefangene waren hier anfangs, nicht mehr.« Rund die Hälfte davon waren Juden ohne belgische Staatsbürgerschaft, manche von ihnen waren vor Pogromen aus Osteuropa geflohen, andere später vor den Nationalsozialisten.

Einer der ersten Räume, die man beim Besuch der Festung Breendonk betritt, ist das ehemalige Kasino der SS. Hier fanden laute Gelage statt, es wurde auch gefeiert, wenn am Richtplatz vor dem Gebäudekomplex wieder einmal jemand hingerichtet worden war. Einige Räume weiter kauerten in Hörweite die Gefangenen in ihren feuchtkalten Gemeinschaftszellen.

Von den insgesamt 3 600 während der Naziherrschaft in Breendonk ­inhaftierten Personen seien 301 dort gestorben, so Roden. »Das erscheint ­wenig«, sagt er. »Dennoch hat nur rund die Hälfte der Häftlinge den Krieg überlebt.« Die meisten von ihnen seien nur relativ kurz im Fort geblieben. »Doch wenn sie Breendonk verließen, waren sie in einem so schlechten ­Zustand, dass ihre Chancen, das Konzentrationslager zu überstehen, nicht mehr sehr groß waren.«

Anfangs wurden längst nicht alle Häftlinge von hier aus deportiert. Manche saßen einige Monate in Haft, mussten Zwangsarbeit verrichten und kamen danach wieder frei. Doch der deutsche Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 veränderte die Situation in Belgien und in Breendonk. »Hitler fürchtete die Entstehung kommunistischer Widerstandsgruppen in Belgien und in Europa, die den Deutschen in den Rücken fallen könnten«, erklärt Roden.

Nun gingen die Besatzer rigide gegen tatsächliche und vermeintliche ­Widerstandskämpferinnen und -kämpfer vor. »Das bedeutete auch einen Zuwachs der Insassen in Breendonk«, sagt Roden, »Ende des Sommers 1941 waren es etwa 200.« Um diese Zeit, im September 1941, wurde der erste Konvoi aus Breendonk in Richtung der deutschen Konzentrationslager auf den Weg gebracht.

Durchquert man die Festung, gelangt man rechter Hand in einen Innenhof, in dem eine kleine Baracke steht. Sie diente der SS als Büro. Heute sind hier großformatige Fotos ausgestellt, auf denen die maßgeblichen Quäler von damals abgebildet sind. Einer von ihnen ist Philipp Schmitt, Major der SS und Lagerführer. »Die meiste Zeit hielt er sich in seinem Büro auf«, gibt Roden die Berichte der Zeitzeugen wieder. »Wenn er im Lager umherlief, wurde er immer von seinem Hund ›Lump‹ begleitet, der darauf abgerichtet war, die Gefangenen zu beißen.«

»Schmitts Herrschaft war so schrecklich, so geprägt von schwersten Misshandlungen, Demütigungen, Folterungen bis hin zum Tode, dass sogar die deutsche Militärverwaltung Belgiens in Sorge war, das Lager werde als ›Hölle von Breendonk‹ in die Geschichte eingehen«, sagt Laurence Schram, die als Historikerin in der Gedenkstätte Kaserne Dossin in Mechelen arbeitet. Dort wurden ab 1942 alle als Juden Verfolgten vor ihrer Deportation nach Auschwitz eingesperrt.

Die Bedenken der Militärverwaltung resultierten nicht zuletzt aus dem schlechten Ruf, den sich die Deutschen bereits im Ersten Weltkrieg in Belgien erworben hatten: An die Massaker an Tausenden von Zivilisten, die Verschleppung zur Zwangsarbeit nach Deutschland und das brutale Vorgehen des damaligen Besatzungsregimes gegen die Résistance wollte die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg zunächst ungern anknüpfen. Sie befürchtete Widerstand aus der Bevölkerung, der die zügige Ausbeutung der Ressourcen des Landes empfindlich stören würde.