Das neue Album von Bat for Lashes

Ziemlich blutarm

Das neue Album von Bat for Lashes ist zu brav geraten.

Wer als Vampir heute etwas auf sich hält, residiert längst nicht mehr in muffigen Schlössern oder hüllt sich in altmodische und unpraktische Gewänder. Um die Jahrtausendwende herum eroberte der moderne, individualistische Vampir die Popkultur. Er ist ein Filet Mignon essender Yuppie in L.A. (bei Bret Easton Ellis), wasserstoffblondes Billy-Idol-Lookalike (»Buffy the Vampire Slayer«) oder depressiver Gitarrennerd (bei Jim Jarmusch). Die individualistische Vampirin trägt Sneaker, hört Post-Punk und sucht nachts iranische Vorstädte auf dem Skateboard heim (»A Girl Walks Home Alone at Night«).

Natasha Khan alias Bat for Lashes ergänzt die Riege cooler Vampire und Vampirinnen nun durch eine so lässige wie sinistre Mädchengang, der die kalifornische Sonne nichts anhaben kann. Begehren und Leiden der »Lost Girls«, so der Titel ihres Anfang September veröffentlichten fünften Albums, bilden die narrative Klammer für die zehn darauf enthaltenen Tracks. In die Vermarktung dieser Hintergrundgeschichte wurde vor Veröffentlichung des Albums eine Menge Arbeit gesteckt, inklusive neuem Alter Ego und Teasern auf diversen Social-Media-Kanälen. Als Bandenchefin Nikki Pink tanzt Khan darin durch die Wüste und inszeniert sich als Neo-Goth-Persona zwischen Verletzlichkeit und Coolness, Sinnlichkeit und Spiritualität.

Wer die Karriere der Multiinstrumentalistin und Sängerin verfolgt hat, weiß um ihre Wandelbarkeit. Am Spiel mit großen Gesten, musikalischen Einflüssen und wechselnden Identitäten schien Bat For Lashes immer Spaß gehabt zu haben. Hört man sich noch einmal chronologisch durch ihre Diskographie, entfaltet sich ein musikalisches ­Panorama, das von den verspielten Kammerpop-­Anfängen des Debüts »Fur and Gold« (2006) über das verhallte »Two Suns« (2009) und die Klarheit von »The Haunted Man« (2012) bis zum theatralen Konzeptalbum »The Bride« von 2016 reicht.

Für »Lost Girls« hat sich Khan am Sound der achtziger Jahre orientiert und eine Synthpop-Platte produziert. Im Wesentlichen auf den Einsatz von Synthesizern und Drummachines reduziert, ist »Lost Girls« stilistisch das bisher luftigste Release von Bat for Lashes und steht im deutlichen Kontrast zum Vorgänger »The Bride«. Dort hatte sich Khan in die Figur einer Braut versetzt, deren Verlobter auf dem Weg zur Trauung tödlich verunglückt. Die emotionale Verarbeitung dieser alptraumhaften Situation bildete den roten Faden. »Lost Girls« soll Khan zufolge das Gegenstück bilden, den lebensbejahenden Antagonisten zum melancholischen Vorgänger. Dass das Album trotz aller sorgfältiger Inszenierung am Ende so – Achtung! – blutleer klingt und das titelgebende Gefühl des Verlorenseins auch beim Hören entsteht, ist schade. Khan hat oft bewiesen, dass sie großartige Popsongs schreiben kann, auf »Lost Girls« bleibt sie jedoch in einer diffus-nos­talgischen Stimmung hängen, aus der nur selten interessante musikalische Momente entstehen. Innerhalb des Zitatdschungels aus selbstbewussten Mädchengangs, Lebensfreude und Vampiren bleibt die Musik eigenartig bezuglos.

Nur die forscher klingenden Songs lassen einen aufhorchen: Im Song »Jasmine« etwa überdreht Khan das Teenager-Drama-Thema mit lasziv gesprochenem Text über eine mörderische Femme fatale so sehr ins Klischeehafte, dass das Zuhören großen Spaß macht. Einen ähnlichen Effekt hat das verwegen-schmierige (ironisch gemeinte?) Saxophonsolo auf dem Instrumental »Vampires«. Insgesamt aber bleibt dieses Album eine zuweilen schwerfällige Angelegenheit und wird in seiner Bravheit dem bisherigen Schaffen der Musikerin nicht gerecht.

Bat for Lashes: Lost Girls (AWAL/Rough Trade)