Über das Verhältnis von Antizionismus und Antisemitismus

Antizionismus und Antisemitismus

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III
Die üblichen Antworten auf diese Fra­­ge sind erstens, dass die Gründung des Staats Israel die Vertreibung von 700 000 Palästinensern erforderlich gemacht habe. Israel sei ein »Kolonialstaat«. Die unmittelbare Geschichte spricht für sich. In den zwanziger und dreißiger Jahren gab es keine Vertreibung palästinensischer Araber; trotz zionistischer Kolonisierung wuchs die arabische Bevölkerung nicht nur wegen der Geburtenrate, sondern auch wegen der Einwanderung, vor allem aus Syrien (die erste britische Volkszählung 1922 ergab eine arabische Bevölkerung von 660 267; die Zahl für 1940 lag bei 1 068 433). Es gab keine Vertreibung während des Zweiten Weltkriegs, als sich die jüdische Einwanderung verlangsamte. Und der Staat Israel wurde ausgerufen, zuerst von der Uno 1947 und dann 1948 in Tel Aviv, bevor die großangelegte Vertreibung begann – also kann die Idee, dass die Staatlichkeit eine Vertreibung erfordert habe, nicht richtig sein. Es war die Invasion des neuen Staats durch fünf arabische Armeen, die sowohl zur Flucht vieler ­palästinensischer Araber (Juden flohen icht, weil sie keine Möglichkeit hatten zu fliehen) als auch zur Vertreibung vieler anderer (Juden wurden nicht vertrieben, weil die arabischen Armeen den Krieg verloren) führte. Die Zahl der Flüchtlinge und Vertriebenen wird heftig diskutiert; sie war in beiden Fällen groß. Doch ohne den Krieg gäbe es nichts zu diskutieren – nur sehr wenige Flüchtlinge wären heute in Lagern. Die sogenannte Nakba war eine Tragödie, für deren Herstellung zwei Seiten, zwei politische Bewegungen und Soldaten beider Seiten nötig waren.

Und was ist mit den Fluchtbewegungen und Vertreibungen, die anderswo stattgefunden haben, vor allem, als die modernen Staaten Türkei und Pakistan gegründet wurden? Eigenartigerweise habe ich noch nie gehört, dass die Legitimität jener Staaten von linken ­Autoren in Frage gestellt worden wäre, auch wenn die Politik ihrer Regierungen kritisiert wird, so wie es sich gehört.

Aber Israel unterdrücke die Palästinenser sowohl in Israel selbst als auch im besetzten Westjordanland, so der zweite oft genannte Grund für den Antizionismus. Ich werde nicht auf die giftigeren Formen dieser Kritik eingehen – dass Israel Nazideutschland ähnele, ein einzigartig böser Staat, ein Kindermörderstaat sei –, die in der Tat die Topoi des klassischen Antisemitismus wiederaufgreifen oder aktualisieren.