Brasiliens Weg in den Faschismus

»Die Demokratie ist implodiert«

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Interview Von

Bolsonaro hat nach neun Monaten im Amt die schlechtesten Umfragewerte aller gewählten Präsidenten des Landes. Sehen Sie ein Umdenken bei den Brasilianerinnen und Brasilianern?
Es stimmt, dass viele Brasilianer nicht mehr hinter ihm stehen. Einige schämen sich nun – knapp ein Jahr nach der Wahl – sogar, ihn gewählt zu haben. Aber es gibt viele Brasilianer, die ihn weiterhin unterstützen und bei jedem seiner barbarischen Akte Beifall klatschen.

Wird die Bevölkerung manipuliert? Oder steckt der Hang zum Autoritarismus tief in ihr?
Die Gehirnwäsche funktioniert in Brasilien sehr gut und der Hassdiskurs fällt auf fruchtbaren Boden. Die Bildung ist rudimentär, außerdem dominiert das Fernsehen seit jeher Körper und Geist. Das Medienmonopol des Konzerns Globo hat sowohl den Putsch von 1964 (als rechte Generäle den demokratisch gewählten Präsidenten João Goulart stürzten, Anm. d. Red.) unterstützt, als auch den Putsch von 2016 (als Präsidentin Dilma Rousseff in einem fragwürdigen Verfahren des Amtes enthoben wurde, Anm. d. Red.).
Wenn du keine Bücher zu Hause und kaum Bildung genossen hast, glaubst du auch den Lügen der Rechten. So kann man erklären, dass viele Brasilianer zum Beispiel die absurde Falschbehauptung glaubten, dass der die Arbeiterpartei (PT) Babyflaschen mit kleinen Gummipenissen als Sauger an Kindergärten verteilt habe (dies wurde über soziale Medien verbreitet, nicht im Fernsehen, Anm. d. Red.). Der Mechanismus der Reflexion, der Analyse, des Nachdenkens wurde während der Wahl in Brasilien fast vollständig ausschaltet – und das geht leider auch nach der Wahl weiter.

Wohin steuert Brasilien?
Ich hoffe, dass dieser schreckliche Winter vorbeigeht. Viele Aktivisten, Angehörige von Minderheiten und schwarze Jugendliche sind bereits getötet worden – und viele weitere werden sterben. Meine Hoffnung ist, dass sich breiter Widerstand bildet und auch von außen Druck aufgebaut wird. Wir brauchen eine demokratische Internationale. Aber ich bin nicht sehr optimistisch. Ich sehe die Gefahr, dass wir auf den Totalitarismus zusteuern.

Wann sind Sie zum Feindbild der Rechten geworden?
Ich war den Faschisten schon länger ein Dorn im Auge. Aber mit dem Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff 2016 wurden die Angriffe heftiger. In dieser Zeit habe ich mein Buch »Como conversar com um fascista« (Wie man mit einem Faschisten spricht) veröffentlicht. Dort habe ich bereits vor dem Aufstieg des Faschismus in Brasilien gewarnt. Rechte – auch Bolsonaro – nutzten seit 2013 das wachsende Chaos im Land immer stärker für ihre Zwecke. Niemand glaubte damals jedoch, dass Bolsonaro Präsident werden würde.