Nach den Protesten des Sommers folgen in Russland die Prozesse gegen Demonstranten und Oppositionelle

Wundersame Läuterung

In Russland versuchen die Strafverfolgungsbehörden, die jüngsten Proteste für die Zulassung oppositioneller Kandidaten zu Wahlen als Werk einer einheitlichen, hierarchisch organisierten Bewegung darzustellen. Trotz einiger harter Urteile gegen einzelne Protestierende hatten sie damit bislang wenig Erfolg.

Nichts charakterisiert die russische Justiz treffender als die wunderliche Läuterung des Moskauer Amtsrichters Aleksej Kriworutschko. Am 16. September verurteilte er den angehenden Schauspieler Pawel Ustinow zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren. Zur Last gelegt wurden diesem Beteiligung an Massenunruhen, Widerstand gegen die Staatsgewalt und lebensgefährliche Körperverletzung eines Polizisten während der Demonstrationen gegen die Ablehnung oppositioneller Kandidaten vor den Stadtparlamentswahlen in Moskau.

Pawel Ustinow war offenbar zufällig am Rande einer Protestaktion am 3. August in die Fänge der Polizei geraten.

Bereits am 20. September legte Kriworutschko Beschwerde gegen sein eigenes Urteil ein und forderte, den Verurteilten freizusprechen. In der Zwischenzeit waren dem Richter Verfahrensfehler aufgefallen. Ein Straftatbestand sei auch nicht auszumachen, so Kriworutschko. Dabei hatte die Anklage soar sechs Jahre Haft gefordert. Nun aber sprangen dem Richter sogar die Generalstaatsanwaltschaft und das für den Fall zuständige Ermittlungskomitee bei, die die Angelegenheit am liebsten auf der Stelle in einem Revisionsverfahren beigelegt hätten. Aber es mussten gewisse Fristen eingehalten werden, weshalb diese Prozedur um einige Tage verschoben wurde. Ustinow durfte seine Zelle jedoch sofort verlassen. Im Revisionsverfahren wurde er am Montag zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt.

Berufskolleginnen und -kollegen hatten für den 24jährigen Schauspieler eine aufsehenerregende Solidaritätskampagne begonnen, der sich selbst russische Fernsehstars anschlossen, die keineswegs im Verdacht stehen, mit der Opposition zu sympathisieren. Auch Ustinow selbst, der seinen Wehrdienst bei der Nationalgarde ableistete, gab in sozialen Netzwerken staatsloya­le Ansichten zum Besten. Er geriet offenbar zufällig am Rand einer Protestaktion am 3. August in die Fänge der Polizei. Während Tausende im Moskauer Zentrum für die Zulassung oppositioneller Kandidaten zu den anstehenden Stadtparlamentswahlen protestierten, wartete Ustinow eigenen Angaben zufolge dort auf einen Bekannten.