Kaschmir-Konflikt

Eskalation einer Erpressung

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Die pakistanische Regierung hatte umgehend und scharf auf »Indiens Akt der Tyrannei« vom 5. August reagiert. International unternahm man verstärkte diplomatische Anstrengungen gegen Indien. Pakistans militärischer ­Geheimdienst unterhält Hunderte Twitter-Konten und mehrere als gemeinnützige NGOs getarnte Propagandaagenturen mit Sitz im Ausland zur systematischen Verbreitung von Falschnachrichten über Kaschmir. Am 27. September, als Khan vor der UN-Vollversammlung sprach, beispielsweise inserierte die »International Humanitarian Foundation« (IHF) in Houston ganzseitig in der New York Times. Es handelt sich Recherchen des Wochenmagazins India Today zufolge um eine Organisation, die bislang nicht durch humanitäre Arbeit aufgefallen und erst einen Monat vor dem Besuch des indischen Premierministers Narendra Modi in Houston registriert worden sei.
Viele Journalisten sind gegen Desinformation durch Geheimdienste nicht gut gerüstet. Auch auf Facebook versagt der Faktencheck bei Falsch­nachrichten, die angeblich aus Kaschmir stammen. Pakistans muslimische Partnerländer äußerten sich jedoch bislang eher zurückhaltend, mit Ausnahme des türkischen Präsidenten ­Recep Tayyip Erdoğan.

Pakistan versetzte sein Militär in erhöhte Alarmbereitschaft, setzte den ­bilateralen Handel mit Indien aus und wies dessen Botschafter aus. Das pakistanische Informationsministerium begann eine Kampagne mit dem Titel »Sag nein zu Indien« und verbot sämtlichen Kulturaustausch und jegliche Kooperation im Unterhaltungssektor. Pakistans Medienaufsicht (PEMRA) verbot alle indischen Produktionen ohne Ausnahme mit dem Hinweis auf eine »Kulturinvasion«.

Internationale Beobachter kritisieren die Vorherrschaft der Armee in Pakistan und die Instrumentalisierung diverser Regierungsbehörden für militärische Pläne, die keine Absicht einer Konfliktminimierung erkennen lassen.  Befürworter einer zivilen Regierung, darunter der ehemalige Präsident Asif Ali Zardari, wurden unter Korruptionsvorwürfen inhaftiert. Die Berichterstattung zu inhaftierten Oppositionspolitikern wurde in den vergangenen Wochen immer wieder unterbrochen und Journalisten wurden darauf hin­gewiesen, die Verfassung zu respektieren und das Vertrauen in den Rechtsstaat nicht zu untergraben.

Martialische Töne schlug Khan am 27. September während der 74. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York City an. Er prophezeite ein Blutbad in Kaschmir, nannte Modi einen Rassisten und Faschisten, zog zahlreiche Analogien zu Deutschland unter Adolf Hitler und bekräftigte nach dem emphatischen Rezitieren des islamischen Glaubensbekenntnisses seine Entscheidung, notfalls unter Einsatz des Nukleararsenals bis zum Tod für Kaschmir zu kämpfen. Während einer Ansprache am Flughafen kurz nach seiner Landung in Islamabad am 29. September fügte er hinzu: »Egal ob die Welt den Kaschmiris beisteht, wir werden ihnen beistehen! Das ist Jihad! Wir machen das, damit Allah mit uns zufrieden ist.«

Neben Pakistan erwähnten nur China, Malaysia und die Türkei Kaschmir während der UN-Generalversammlung. Pakistans territorialer Anspruch auf den indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir entbehrt jeglicher Grund­lage. Die letzte größere Studie von 2011 ergab, dass etwa ein Prozent der Kaschmiris im indisch verwalteten Teil der Region einen Anschluss an Pakistan befürworten. Pakistans aggressives Agieren verschleiert auf verblüffend effektive Weise, dass die Islamische Re­publik in dem von ihr verwalteten Teil Kaschmirs de facto wie Indien agiert. Demonstrationen etwa für Autonomie sind dort seit Jahren strengstens ver­boten.

Es wäre ein guter Zeitpunkt für die EU, als Pakistans größter Handelspartner mit deutlichen Worten ein Ende der pakistanischen Aggressionen anzumahnen. Der Einsatz für die Wahrung der Menschenrechte in Kaschmir – im indisch wie pakistanisch verwalteten Teil – darf nicht den Eindruck erwecken, man gebe Pakistans Drohungen mit ­Jihad und Atomkrieg nach.