Regionale Ungleicheiten in Europa

Wer hat, dem wird gegeben

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Eine von der Friedrich-Ebert-Stiftung geförderte Forschergruppe der Johannes-Kepler-Universität Linz kam zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Auch sie stellte fest: Einige Regionen profitierten von der Standortkonkurrenz, andere gerieten ins Hintertreffen. Der entscheidende Faktor, so die Gruppe der Universität Linz, seien die »technologischen Kapazitäten« einer Region. Abgesehen von Steueroasen wie Irland oder Finanzzentren wie Luxemburg seien in Europa Regionen, in denen diese Kapazitäten in hohem Grad vorhanden seien, am wohlhabendsten. Entscheidend seien technisch führende Unternehmen, die am meisten in Entwicklung investieren können und die komplexesten Produkte für den Weltmarkt herstellen, und Forschungseinrichtungen, die international Talente anziehen. Dass unterentwickelte Regionen aufschlössen, sei deshalb selbst innerhalb der EU so gut wie unmöglich. Vielmehr sei die Polarisierung selbstverstärkend: »Vergangene Erfolge sind die Basis für zukünftige Erfolge.« Das führe dazu, dass Unternehmen, die bereits die globalen Märkte dominierten, etwa in Deutschland, ihre Führung im europäischen Wettbewerb immer weiter ausbauten, »während technologisch schlechter gestellte Länder weiter zurückfallen«, so das Fazit der Forschungsgruppe.

Selbst in Osteuropa, das zum Billigfertigungsgebiet für die westeuropäische Industrie wurde, sei höchstens den vier Visegrád-Staaten, der »Werkbank des industriellen Kerneuropas«, ein begrenzter Aufstieg im Bereich der technologischen Kapazitäten gelungen. Rumänien, Estland, Lettland und Litauen hingegen blieben in diesem Sinne Peripherie. Besonders Teile Südeuropas fielen in der Entwicklung immer weiter zurück. Umfangreiche politische Eingriffe seien nötig, um vom Markt geschaffenen Hierarchien zu nivellieren, so die Forscher aus Linz.

Derzeit investiert die EU bereits viel Geld in »Kohäsions- und Strukturpolitik«, um die durch Marktkräfte hergestellten regionalen Ungleichgewichte auszugleichen. 454 Milliarden Euro sind allein für den Zeitraum 2014 bis 2020 vorgesehen. Das Geld kommt vor allem schwächeren Regionen zugute und soll Standortnachteile beheben. Forschung, Entwicklung, Bildung, Infrastruktur und Unternehmen werden so von EU-Fonds gefördert.

Doch die Kluft zwischen prosperierenden und abgehängten Regionen ist nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine demographische und damit soziale, kulturelle und politische. Denn Wachstumsregionen ziehen immer mehr junge und gut qualifizierte Menschen an, die aus den stagnierenden Regionen abwandern. »Erfolgreiche urbane Regionen absorbieren immer mehr junge Menschen mit guten Abschlüssen, und dieser Trend nimmt weiter zu«, heißt es in einem Papier des Brüsseler Center for European Reform. Die Folge sei eine zunehmende geographisch-politische Sortierung der Bevölkerung: hier gut gebildete junge Menschen, oft mit liberalen Einstellungen, dort ältere, weniger gebildete Menschen, die nicht selten populistisch wählen.