30. 000 Arten von Korbblütlern

Bingewatching mit Korbblütlern

Kolumne Von

»An der Youtube University studiert« ist inzwischen eine feststehende Redewendung, um Menschen zu beschreiben, die ganz genau über Chemtrails, ­Ufo-Landungen, den Großen Bevölkerungsaustausch und die Neue Weltordnung Bescheid wissen, weil man das doch alles auf der Videoplattform erfahren könne. Den schlechten Ruf hat sich Youtube mit ­seinen Empfehlungsalgorithmen, die geeignet sind, aus gewöhnlichen Halbgebildeten ausgewachsene Nazis zu machen, ehrlich verdient. 

Zwischen all dem galoppierenden Irrsinn gehen seriöse Kanäle fast schon unter, die tatsächlich einen Beitrag zur Allgemeinbildung leisten. Dabei lässt sich gerade im MINT-­Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) allerhand gut gemachtes ­Infotainment finden – Englischkenntnisse vorausgesetzt, denn die deutschsprachige Youtube-Wissenschaftskommunikation wird überwiegend von jung-dynamischen Science Slammern bestritten, deren Mischung aus bemühter Lockerheit und Besserwis­ser­attitüde keine Minute lang auszuhalten ist.

Unter den empfehlenswerten Angeboten hingegen wäre beispielsweise die »Scishow« zu nennen: kleine Informationshäppchen aus Naturwissenschaft und Technik für die nerdgemäße Abendunterhaltung oder auch zur Auflockerung der einen oder anderen Schulstunde. »PBS Eons« wiederum widmet sich der Paläontologie, und der Videojournalist Brady Haran lässt auf diversen Kanälen wie »Periodic ­Videos« (Chemie), »Sixty Symbols« (Physik) oder »Numberphile« (Mathematik) Forschende selbst zu Wort kommen.

Weniger leicht konsumierbar und gerade deshalb einer besonderen Würdigung wert ist »Crime Pays But Botany Doesn’t«. Klickzahlen sind dem autodidaktischen Grünzeug­experten Joey Santore egal, wenn er durch verschiedene Landstriche der USA stapft, Pflanzen bestaunt und wissenschaftlich fundiert vorstellt. Das allerdings auf eine Weise, die es niemals in den Biologieunterricht schaffen wird: Sein am häufigsten verwendetes Wort ­lautet fuck beziehungsweise fucking, noch vor »Asteraceae«, was angesichts der fast 30 000 Arten um­fassenden Familie der sonnenblumenverwandten Korbblütler etwas heißen will.

Man sollte also Kraftausdrücke vertragen können, um Spaß an den Videos zu haben; botanische Grundkenntnisse oder zumindest die Bereitschaft, sich diese anzueignen, schaden nicht. Oder man lässt sich einfach berieseln und »zieht dabei eine Bong nach der anderen durch«, wie Santore seinem Publikum regelmäßig unterstellt. Seine Mischung aus Misanthropie und Pflanzenliebe ist sicherlich nicht für alle geeignet, aber wer sich darauf einlässt, lernt selbst als Botanik-Nerd noch einiges dazu und wird zudem bestens unterhalten. Noch schöner wäre es nur, wenn Youtube nicht ständig als nächsten Clip diesen zugedröhnten Waldschrat vorschlüge, der von den Pilztrips berichtet, auf denen er sich befindet.