Personalmangel erschwert die ­Inklusion an hessischen Schulen

Streit um die Inklusion

In Hessen soll künftig jede größere Grundschule eine festangestellte Förderschullehrkraft bekommen. Diese speziell ausgebildeten Pädagogen fürchten, angesichts des herrschenden Lehrermangels am Ende bloß Lückenfüller zu sein.

In Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen ist es bereits Schulalltag, in Hessen wird es wahrscheinlich ab kommendem Schuljahr die Regel, weil CDU und Grüne es in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart haben: Jede Grundschule mit mindestens 250 Schülern soll eine festangestellte Förderschullehrkraft bekommen. Diese Lehrkräfte wären dann nicht mehr wie bisher an einer Förderschule oder einem sogenannten Beratungs- und Förderzentrum (BFZ) angestellt, sondern gehörten zum Kollegium der Grundschulen. Vorerst können sich die Leitungen der Grundschulen jedoch freiwillig für oder gegen eine feste Förderschullehrkraft entscheiden.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts ist der Lehrermangel an Grundschulen bis zum Jahr 2025 das dringendste Problem der Bildungspolitik.

Die Förderschullehrkräfte sollen nicht mehr nur eine beratende Funktion haben, sondern in den schulischen Alltag an den Grundschulen ­integriert werden. Insbesondere der fachliche Austausch zwischen regulären Grundschullehrerinnen und -lehrern einerseits und eigens ausgebildeten Förderschullehrkräften andererseits soll so gefördert werden. In der Modellregion Frankfurt wurden Grundschullehrkräfte zu dem Thema befragt. Deren Angaben zufolge hatte eine Mehrheit von 75 Prozent einmal wöchentlich Kontakt mit Förderschullehrkräften, nachdem diese dauerhaft an die Grundschulen abgeordnet worden waren. Dieser Kontakt soll weiter intensiviert werden.

Auf den ersten Blick ist das keine schlechte Idee. Die Schulen erhalten einen festen Ansprechpartner für schwierige Fälle und die sogenannte inklusive Beschulung wird gefördert. Zu dieser hat sich Deutschland schließlich mit einem Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18. November 2010 verpflichtet. So soll der 2009 verabschiedeten UN-Behindertenrechtskonvention entsprochen werden, in der die Vertragsstaaten versprechen, »ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen« zu gewährleisten. Die Frage ist, wie die inklusive Beschulung verwirklicht wird und ob damit nicht einfach eine verfehlte Bildungspolitik ­kaschiert werden soll. Denn die Entscheidung lässt einiges offen: Wo ­sollen die Lehrkräfte herkommen? Wie geht es weiter mit dem fachlichen Austausch zwischen den Förderschullehrkräften? Und vor allem: Werden die Förderschullehrer noch ihrer eigentlichen Aufgabe nachkommen können?

Eine Förderschullehrerin aus dem Rhein-Main-Gebiet hat große Zweifel. Sie möchte anonym bleiben, denn: »Wenn ich nicht den offiziellen Dienstweg gehe, bekomme ich eine Abmahnung«, sagt sie im Gespräch mit der Jungle World. Viele Schulleitungen scheuten den Konflikt mit den vorgesetzten Stellen in den Ministerien. Dabei teilten viele ihrer Kollegen ihre ­Ansichten, sagt sie. So aber bleibe die ­Lösung des Problems an den Lehrkräften hängen.

Diese sorgen sich, ob sie den ihnen gestellten Aufgaben noch gerecht ­werden können, wenn der fachliche Austausch mit anderen Förderschullehrkräften verlorengeht. Zwar sieht der Koalitionsvertrag in Hessen für Förderschullehrer in Grundschulkollegien eine Deputatsstunde pro Woche zum Austausch am BFZ vor. Für Kräfte, die von Förderzentren abgeordnet sind, gibt es diese Stunde nicht. Doch dass eine Stunde pro Woche ausreicht, bezweifelt die Lehrerin aus dem Rhein-Main-Gebiet: »Wenn Grundschullehrer oder Schulleiter mit 20 Jahren Erfahrung zu mir kommen und mir mit meinen zwei Jahren Berufserfahrung ­Fragen stellen, kann ich diese nicht immer beantworten. Und wer hilft mir dann, wenn ich mich kaum noch mit anderen Förderschullehrern austauschen kann?« Es sei unwahrscheinlich, dass sich all das in eine Stunde pro Woche packen lasse. Derzeit verbringe sie am BFZ deutlich mehr Zeit. Noch wichtiger aber sei der informelle Austausch im Kollegium. Dieser würde künftig fehlen.