Linker Antisemitismus

Antisemiten sind immer die anderen

Linke und Liberale sind schnell dabei, Judenhass zu verurteilen – solange es nicht der eigene ist.
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Es gibt nichts Neues unter der Sonne, wie es schon im Buch Kohelet heißt. Zum Antisemitismus ist bereits alles analysiert, referiert und niedergeschrieben worden. Wer sich nach den zwei Morden von Halle, den Kollateralverbrechen zum gescheiterten Massaker an Jüdinnen und Juden, plötzlich überrascht und tief betroffen zeigt, war zuvor nicht einfach blind, sondern stellt sich absichtsvoll dumm und ist Teil des Problems.

Pflichtschuldigst bestürzt zeigte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), deren Regierung erst wenige Tage zuvor die Fördermittel für Initiativen unter anderem gegen Antisemitismus zusammengestrichen hatte. Die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) forderte dagegen »Demokratieförderung«, hatte aber kurz darauf sichtliche Freude, den iranischen Parlamentspräsidenten Ali Larijani, einen antisemitischen Hardliner, mit der ihr ­eigenen Herzlichkeit zu treffen. Und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat das Internet und Computerspiele für sich entdeckt – in kritischer Absicht selbstverständlich.

Man kann es wissen, will es aber nicht: Der Antisemitismus, so Adorno, »ist das Gerücht über die Juden«. Aus diesem verdichteten Satz lässt sich alles entfalten, was es zum christlichen, rassistischen und islamischen Antisemitismus zu sagen gibt, aber auch zum ­sogenannten Neuen Antisemitismus, der selbst schon wieder in die Jahre gekommen ist. Dieser bezeichnet schlicht die heutzutage in linken und bürgerlichen Kreisen gepflegte politisch korrekte Variante des Judenhasses. Da man nach Auschwitz guten Gewissens nichts mehr direkt gegen Jüdinnen und Juden haben kann, nimmt man den Umweg über Israel als »Jude unter den Staaten« (Léon ­Poliakov). Die sich als »Israelkritik« drapierende Variante der wiedergutgewordenen Deutschen, der sogenannten Mitte der Gesellschaft, hat zur Konsequenz, dass es für Jüdinnen und Juden hierzulande genau zwei Optionen gibt, akzeptiert zu werden. Sie sollten möglichst lange tot sein, am besten seit den dreißiger oder frühen vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Anderenfalls sollten sie ­wenigstens Antizionisten, also Kronzeugen der »Israelkritik« sein.

Ein Gerücht über die Juden streute erst kürzlich wieder Der Spiegel, der hinter einer kleinen proisraelischen Gruppe dubiose Methoden der Einflussnahme und sinistre Mächte aus dem Ausland vermutete. Denn eine Parteinahme für Israel ist eine hierzulande kaum für möglich zu haltende Ungeheuerlichkeit. Mit dem Raunen über den Mossad setzten die Autoren ihrer Geschichte noch den Aluhut auf. Die Verantwortlichen in der Redaktion wiesen später jede Kritik und vor allem den Vorwurf des Antisemitismus ehrlich empört von sich. In ihrem Selbstbild sind sie frei von jedem Ressentiment. Für sie ist es auch kein Widerspruch, wenig später mit dem Titel »Nie wieder?« aufzumachen und nach Halle ganz richtig festzustellen: »Schmähungen gegen Juden sind in Deutschland alltäglich – sie bereiten den Boden für Gewalttaten.« Nur trifft sie das nicht selbst. Denn Antisemiten sind immer nur die anderen.