Molières »Amphitryon« an der Berliner Schaubühne

Wer mit wem

Herbert Fritsch inszeniert an der Schaubühne in Berlin das Durcheinander der Identitäten. Sein wunderbar komischer »Amphitryon« bekommt den Kindheitszauber des Verkleidens zu fassen.

Die Identitätsdebatte schleicht sich im Barockkostüm auf die Bühne. »Wer ist da?« – »Ich.« – »Wer, ich?« Es ist nur ein kurzer Dialog, der die Schwierigkeiten des Subjekts zeigt, sich selbst zu erklären. Von Nutzen wäre da ein Name, der Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit verspricht. Der Befragte ist Sosias, der Diener des Feldherrn Amphitryon, der dessen Frau Alkmene Mitteilung vom Sieg und der baldigen Rückkehr ihres Gatten machen soll. Doch der ihn befragt, ist ebenfalls Sosias, sein Ebenbild, dessen Herr Amphitryon sich ­soeben in den Gemächern mit Alkemene vergnügt und dabei nicht ­gestört werden möchte. Der Doppelgänger, der nicht nur gleich aussieht, sondern auch intime Kenntnisse über den Knecht hat, verhält sich in dem Aufeinandertreffen recht ruppig. Von ihm mehrfach geschlagen, lässt Sosias verlautbaren, dass er ­offenbar im Irrtum gewesen und doch nicht Sosias sei. Er beugt sich der Gewalt, bis zur Selbstverleugnung. Doch ist er insgeheim noch überzeugt, der Gleiche zu sein, der er immer war. Von seinem Herrn gefragt, wer ihn schlug, antwortet er: »Nun, ich!« Der Herr lässt sich auf solch philosophische Spitzfindigkeiten von Identität und Nichtidentität nicht ein – bis er erfährt, dass auch er ein Double hat, das zudem die Nacht mit seiner Frau verbracht hat. Was die Figuren nicht ahnen, weiß das Publikum bereits; Die Doppelgänger sind Jupiter und sein Bote Merkur. Aus der Götterwelt kamen sie auf die Erde, wegen des besseren Sex. 

Im Rascheln der bunten Bastelpapiervorhänge klingt noch etwas von der Utopie der Kindheit an, in der die Lust an der Verkleidung noch unverstellter war. 

Um Götter im eigentlichen Sinne geht es in »Amphitryon« nicht unbedingt, eher um weltliche Dinge. Herbert Fritsch hat den Stoff in der Fassung von Molière an der Berliner Schaubühne inszeniert und stellt auf kluge Art und Weise die Frage nach der Unverwechselbarkeit des Einzelnen. Ist man eigentlich so originell, wie man immer denkt? Es ist eine Komödie, die zugleich das Komische selbst verhandelt. Zu dessen Grundfiguren gehören der Doppelgänger und die Verwechslung – von der Antike bis hin zu Charlie Chaplins »Der große Diktator« und Ernst Lubitschs »Sein oder Nichtsein«. 

1668 mit dem Verfasser in der Rolle des Sosias uraufgeführt, wurde das Stück Molières ein großer Erfolg. Heinrich von Kleist nahm es zur Vorlage für seine Neufassung des »Amphitryon«, Molière wiederum hatte sich bei dem antiken Dramatiker Plautus bedient. Der Bezug auf die Zeit des Barock spiegelt sich in Fritschs Inszenierung wider. Rechts und links hängen wie Kulissen auf einer Barockbühne bunte Papiervorhänge, die effektvolle Auf- und Abgänge ermöglichen. Die Kostüme von Victoria Behr sind an Opulenz kaum zu überbieten. Goldene Ornamente, Federschweife auf den Kopfbedeckungen, Perücken auf den Häuptern, aus­ladende Röcke und berüschte Ärmel zeichnen sie aus. Zwar geht es in »Amphitryon« auch um Herrschaft und Knechtschaft, doch werden die Klassengegensätze nicht durch die Unterschiede der Kleidung dargestellt. Eine kluge Entscheidung, weil es nicht um die feinen Unterschiede im Ha­bituellen geht, sondern um eine zugrundeliegende Struktur. Auch reden Götter, Herren, Knechte dieselbe Sprache, allesamt in Versen.

Den in eine schwere Identitätskrise geratenenen Sosias spielt der Schauspieler und Verfasser der Tetralogie »Alle Toten fliegen hoch«, Joachim Meyerhoff. Ist es überhaupt eine Krise? Der Auftritt des Doppelgängers – im übertriebenen bad acting eines in die Welt herabgestiegenen Gottes: Bastian Reiber – löst zwar deutliche Irritationen aus, führt aber weder zur Lähmung noch zum Untergang des Subjekts in Selbstzweifeln. Im Gegenteil, gerade die Unbeirrtheit, mit der Sosias seinen Weg fortsetzt, bewirkt das Komische. So stolpert Meyerhoff über die Bühne, verpasst die Einsätze, verheddert sich in der Kulisse. Das ist die Parteinahme für den Materialismus der Komödie. Sie zeigt das Subjekt als der Lust verpflichtet, verstrickt in die eigenen Fixierungen, die keinesfalls aufgegeben werden, sondern im Zweifelsfall in einen Kompromiss führen, der selbst wieder etwas Komisches hat – so wie die erzwungene Selbstverleugnung des Sosias. Die Lust ist wie die Pointe immer dort, wo man sie nicht vermutet. So erzeugt die Komödie mit pointierten Wortgefechten, Verwechslungen und Verkleidungen, Missverständnissen, Zum-falschen-Zeitpunkt-am-falschen-Ort-Sein, Neben-sich-Sein und Außer-sich-Agieren selbst einen lustvollen Text.