Molières »Amphitryon« an der Berliner Schaubühne

Wer mit wem

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In Molières »Amphitryon« geht es auch recht unverhohlen um Sex, immerhin der Ausgangspunkt aller Verwicklungen. Es geht um die Frage, wer mit wem geschlafen hat. Als die von Annika Meier gespielte Alkmene versucht, dem soeben heimgekehrten Amphitryon (Florian Anderer) die vermeintlich gemeinsam erlebten Freuden der vergangenen Nacht in Erinnerung zu rufen, entgleisen dem die Gesichtszüge. War da was? Als hingegen Cleanthis (Carol Schuler), die Frau des Sosias, sich bei diesem über die Abfuhr in derselben Nacht beschwert – der verwandelte Merkur hatte keine Lust, sie zu verführen –, reagiert dieser zu ihrem völligen Unverständnis einigermaßen erheitert.

Nicht nur Herr und Knecht sind verdoppelt, auch die sexuelle Situation ist es. Das zeigt das Subjekt als ­gespaltenes, in seinen sozialen Beziehungen, aber auch im Verhältnis zu sich selbst und zu seinem Begehren. Die Figuren sind geprägt von der Dialektik des Herr-Knecht-Verhältnisses und der Geschlechterspannung. Nach Sigmund Freud zeigen sich in der Figur des Doppelgängers die nichtrealisierten Anteile des eigenen Ichs. Kein Wunder, dass die Doppelgänger aus dem Götterhimmel kommen. Das denunziert aber weder die höhere Idee noch die niedere Lust. Im Gegenteil: Nur der Lust wegen kommen sie zur Erde. Die wechsel­seitige und nicht ineinander aufgehende Bezogenheit des Leiblichen und Geistigen findet einen Ausdruck im komischen Konflikt. Wunderbarerweise sind die Götter wie in Ronald M. Schernikaus »legende« nicht bloße Spukbilder, sondern entfremdeter Ausdruck dessen, was der Mensch­heit möglich wäre. Gerade das ließ Kleist in seinem »Amphitry­on« nicht gelten, weshalb der ­Konflikt bei ihm einen tragischen Ausgang nehmen muss. Peter Hacks hingegen, der auch einen »Amphitryon« schrieb, ließ Alkmene das falsche Spiel durchschauen. Sie weiß um den verwandelten Gott und entzieht sich ihm trotzdem nicht, weil sie von der Idee der Götter einen aufgeklärten Gebrauch machen kann, zum ­Beispiel um ihren garstigen kriegführenden Mann zu zivilisieren.

Das Komische steht in der Ideologiekritik zumeist unter Verdacht, und das nicht ganz zu Unrecht, denn das distanzierende Lachen und der parodistische Spott tragen zum Funktionieren der Ideologie gerade dadurch bei, dass sie das Subjekt nur zeitweise von dem Zwang distanzieren und diesen dadurch erträglicher machen. Diese Art Humor schwört auf das Bestehende ein, indem er einlädt, die Dinge mit einem Lachen zu nehmen, dem berühmten Motto keep smiling folgend. Dagegen ist das Komische eine ernste Sache. Es fordert nicht, mit einem Lachen von den eigenen Wünschen abzulassen, sondern ihnen treu zu bleiben. Eine Ahnung davon vermittelt Fritschs Inszenierung mit Artistik, Tanz, Musik, Glanz und Phantasie. Im Rascheln der bunten Bastelpapiervorhänge klingt noch etwas von der Utopie der Kindheit an, in der die Lust an der Verkleidung und die Freude auf das gute Ende noch unverstellter waren. Denn gerade in unlustigen Zeiten will das Wünschen eines anderen Zustands gepflegt werden, was dem ­Komischen und Boulevardesken zufallen kann.

»Amphitryon« an der Berliner Schaubühne. Nächste Aufführungen am 31. Oktober sowie, 1., 2. und 3. November.