Russlands Klimapolitik

Wer braucht schon Permafrost

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Klimaforscher der Akademie der Wissenschaften im sibirischen Krasnojarsk untersuchten gemeinsam mit US-amerikanischen Kollegen die Folgen des Temperaturanstiegs für den riesigen asiatischen Teil Russlands, wo etwas mehr als ein Viertel der Gesamtbevölkerung lebt. Sie verweisen auf starke regionale Unterschiede, beispielsweise steigt stellenweise die Zahl der Tage mit anomal niedrigen Lufttemperaturen im Herbst und Winter. An einigen Orten Westsibiriens wurden im Sommer an etlichen Tagen Temperaturen unter den gängigen Werten gemessen. Der Gesamttrend geht jedoch zur Erwärmung. Bis zum Jahr 2080 könnte sich durch stetiges Auftauen der Anteil an Permafrostböden von bislang 65 auf 40 Prozent verringern. Dieser Schätzung liegt ein jahreszeitlicher Temperaturanstieg in Sibirien zugrunde, wie er bei einem weiteren Anstieg der Treibhausgasemissionen zu erwarten wäre. Ansonsten wäre der Schmelzeffekt geringer.

Die Szenarien unterscheiden sich im Detail, doch prognostizieren die Forscher, dass Gebiete, die sich bislang wegen ihrer extremen Klimabedingungen nur bedingt für dauerhafte Besiedlung eignen, in 60 Jahren deutlich an Attraktivität gewinnen und entgegen der derzeitigen Abwanderungstendenzen sogar wieder Menschen aus dem europäischen Teil Russlands anziehen könnten. Allerdings dürfte sich die ohnehin häufig marode Infrastruktur bis dahin kaum verbessert haben. Auf ewig gefrorenem Grund errichtete Häuser und Straßen würden schlichtweg ihr Fundament verlieren. Auch sei nicht klar, ob sich die dann eisfreien Böden für die Landwirtschaft eignen würden. Es hänge jedoch vieles von den planerischen Zielen der Regierung ab. Diese bemüht sich bislang vorwiegend um den Ausbau einiger großer Ballungszentren, nicht zuletzt um Mittel für den Erhalt der Infrastruktur in weniger dicht besiedelten Gebieten einzusparen.

Der Klimawandel scheint für weite Gebiete Russlands einige Verbesserungen zu versprechen, doch der Temperaturanstieg geht hier rasanter vonstatten als andernorts. Nicht allein von Umweltorganisationen, sondern auch aus dem Staatsapparat sind immer häufiger Warnungen vor unumkehrbaren Folgen des Klimawandels zu vernehmen. Einen Vorgeschmack auf kommende Katastrophen bot der vergangene Sommer. Waldbrände dehnten sich in Sibirien auf riesigen Flächen aus, während im Irkutsker Gebiet ganze Ortschaften im Wasser versanken, weil Flüsse nach heftigen Regenfällen über die Ufer traten. Durch die Nähe zur Arktis entsteht eine zusätzliche Gefahr. Bei den Bränden entstehender Ruß zieht nach Norden und schwärzt das Eis, das dadurch Sonneneinstrahlung weniger reflektiert und stattdessen Wärme aufnimmt. Die Folge: Das Eis der Arktis schmilzt schneller.