Nachruf auf Sophinette Becker

Denken, Sprechen, Handeln

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Mit ihrem Beitrag in der November-Ausgabe der Zeitschrift „Psychologie heute“ wies Becker unter dem Titel „Aids, die Krankheit zur Wende?“ bereits 1985 auf die von Helmut Kohl akzentuierte geistig-moralische Wende und deren Zusammenspiel mit den gesellschaftspolitischen Folgen von AIDS hin: Vor allem die dadurch potentiell zunehmende Schwulenfeindlichkeit und eine rigide vorgehende Gesundheitspolitik. In diese politisch-theoretische Beschäftigung zunehmend involviert, nahm sie 1988 die Einladung an, in den Vorstand der „Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung“ (DGfS) einzutreten und zog zurück nach Frankfurt, um dort am IfS zu arbeiten. Von dort aus blieb sie Stichwortgeberin im AIDS-Diskurs und nahm unter anderem 1990 an der Enquete-Kommission „Gefahren von AIDS und wirksame Wege ihrer Eindämmung“ im Bundestag teil, wo sie sich mit Kolleg_innen und Rita Süßmuth gegen die autoritäre Linie, die von Politikern wie Peter Gauweiler vertreten wurde, durchsetzen konnte. Auch im Zusammenhang der AIDS-Präventionsarbeit setzte sich Becker im Sinne ihres Verständnisses einer niemals konfliktfreien Sexualität ein, die man nicht durch einfache Kondomisierungsgebote verändern könne.

Am Institut Fuß gefasst und Feuer gefangen, arbeitete Becker in der zugehörigen Ambulanz mit zahlreichen Patient_innen, insbesondere Schwulen und Transmenschen. Ihr Interesse blieb der Schnittstelle von Psychosomatik, Psychotherapie und Kultur zugewandt – in eben dieser Kombination eine Einseitigkeit vermeidend. In der Sexualität sah Becker einen geeigneten Gegenstand, der sich inmitten ihrer Schnittstellen beleuchten ließ. Als konsequent erachtete sie folglich auch ihr politisches Verständnis der Sexualwissenschaft, die – wenn sie eine kritische sein soll – das Subjektive durchdringend gesellschaftliche Feindbilder und ihre Auswirkungen nicht als Nebensächlichkeit ihres Gegenstandes relativieren sollte.

Nicht ihre therapeutische, jedoch Beckers schriftliche Arbeit zu Transmenschen stand zeitweise in der Kritik: In ihren Fallvignetten wurde einerseits deutlich, dass sie das Ziel der Patient_innen und eben nicht die eigenen im Blick behielt – ganz gleich, ob sich jemand um die Begleitung zur Angleichung als Mann, Frau oder geschlechtslos entschied. Andererseits kritisierte Becker zugleich die teils von Aktivist_innen vertretene Ansicht, dass irreversible, medizinische Eingriffe in den Körper grundsätzlich ohne psychotherapeutische Begleitung und ohne jedwede Abwägungen alternativer, nichtinvasiver Wege durchgeführt werden sollen. Ein solcher Weg könne es unter Umständen sein, so Becker wiederum, den jeweils aktuell vorhandenen Körper in einer neuen Weise zu akzeptieren. Das sei nicht allen Menschen mit Transitionswunsch möglich, könne aber für einige eine hilfreiche und gute Option sein. Entsprechend äußerte sie sich kritisch zur Hormonvergabe im Jugendalter, wobei sie nicht – wie teils unterstellt – gegen dieselbe einstand, sondern eine behutsame Vergabepraxis forderte, die die Bedürfnisse und die spezifischen Konfliktlagen der jungen Patient_innen im Blick behalten sollte.