Nachruf auf Sophinette Becker

Denken, Sprechen, Handeln

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Ihren Ärger äußerte Becker wiederum angesichts der ewigen Weigerung der Bundesregierung – egal in welcher Parteienzusammensetzung – das Transsexuellengesetz (TSG) zu reformieren: Über das regelmäßige Einberufen einer neuen Kommission hinaus sei kaum etwas geschehen. Mit ihrer Stellungnahme zur Reform des TSG, die sie im Vorstand der DGfS verfasste, forderte Becker 2001 als erklärte Gegnerin der Zwangsoperation von Transmenschen zur Änderung des Personenstands die „vollständige Abkoppelung der juristischen Anerkennung im gewünschten Geschlecht von operativen Eingriffen” gegenüber dem Bundesinnenministerium.

Zentrales Interesse ihrer Arbeiten blieb die Sexualität. Als zentralen Gegenstand eines gesellschaftskritischen Erkenntnisinteresses durchdachte und platzierte Becker sie auch in den Fortbildungen für Psychotherapeut_innen, die sie unter anderem gemeinsam mit Dannecker anbot. In ihrem gemeinsam ausgearbeiteten Curriculum brachte sie Psychoanalytiker_innen die Kompetenz, über Sexualität zu sprechen, näher. Das verstand sie nicht zuletzt als Gegenbewegung zu dem ihres Erachtens fortschreitenden Verschwinden des Sexuellen in der Analyse. Zugleich verwob sie die Beschäftigung mit dem Sexuellen mit Gesellschaftskritik. Die kritische Sexualwissenschaft schließlich, sofern sie gut ist, müsse eine politische sein. Diese Ausrichtung, so Beckers Diagnose, ist mit dem Ende des Frankfurter Instituts ebenfalls in besonders sichtbarer Weise im Aussterben begriffen.

Beckers berechtigten Einschätzung zum Trotz lohnt es, sich ihren theoretischen Arbeiten zu widmen und mit ihrer Haltung weiterzudenken. Ihre Beiträge zu AIDS, zur weiblichen Perversion, zur Pädosexualität oder zu Trans sind durchzogen von der Ansicht, dass die Sexualwissenschaft die Psychoanalyse brauche – und vice versa, da sie sonst jeweils langweilig würden. In dieser Kombination baute Becker das Diktum Freuds aus, nach dem es keine Sexualität und keine Entwicklung ohne Konflikte geben kann – auch bei sogenannten Normalen. Sodass auch die Heterosexualität nicht als chemischer Vorgang zu verstehen sei und im Umkehrschluss die Homo- und Transsexualität auch dann entpathologisiert werden könne, wenn man sie nicht für rein angeboren begreift.

Dem Essenzialismus eine Absage erteilend, rief Becker in ihren Arbeiten stets auch den Körper in Erinnerung. In seiner fassbar leiblichen und beschränkten Form ebenso wie in den Fantasien um seine Überschreitung. Entsprechend leibnah sollte die Beschäftigung mit dem Sexuellen sein, nicht bloß auf symbolischer Ebene darüber nachdenkend, sondern sich am konkreten körperlichen Erleben der Subjekte orientierend. Diese Herangehensweise geknüpft an die Einarbeitung gesellschaftlicher Einflüsse zeichnet Beckers Denken aus.