Rechtsextremistischer Anschlag in Frankreich

Ein mörderischer Rentner

In Frankreich hat ein 84-Jähriger auf zwei Muslime geschossen und anschließend eine Moschee in Brand gesetzt. Offenbar wollte er das Gotteshaus in die Luft sprengen. Die Staatsanwaltschaft sieht trotzdem keinen Verdacht auf Rechtsterrorismus.

Auf den ersten Blick mag es sich wie eine amüsante Anekdote anhören: Ein 84jähriger, der in seinem Dorf als exzentrisch wirkender Künstler aufgefallen war, wurde Ende vorigen Monats unter Terrorverdacht festgenommen, unter anderem weil er einen Personenkraftwagen in Brand gesteckt haben soll. Hört man nur dies, könnte man an einen schrulligen, verwirrten Terror­opa denken, dem man seine Autozündelei beinahe nachsehen möchte. 

Im französischen Fernsehen wurde stundenlang darüber debattiert, inwiefern »Multikulturalismus als Gewaltursache« zu betrachten sei.  

Kennt man die vollständigen Informationen zu dem Fall, sieht es gleich anders aus. Den Brand legte der 1935 ­geborene Claude Sinké, als sich eine Person in dem Wagen befand. Offenbar hatte er darauf abgezielt oder zumindest in Kauf genommen, dass der Insasse verbrennt. Zuvor hatte Sinké mit einer Handfeuerwaffe auf das ebenfalls betagte Opfer geschossen und dabei auf dessen Genick gezielt. Der 78jährige Angegriffene wurde schwerverletzt in eine Klinik eingeliefert und war halbseitig gelähmt, da ein Nerv im Halswirbel getroffen worden war. Zuvor hatte der mutmaßliche Täter auf einen 74jährigen geschossen, den er auf einem Stuhl sitzend angetroffen hatte, und ihn am Arm verletzt.

Die Tat ereignete sich vor einer ­vorwiegend von berberischen Nordafrikanern besuchten Moschee in der knapp 50 000 Einwohnerinnen und Einwohner zählenden südwestfranzösischen Stadt Bayonne. Dort legte Sinké auch Feuer an der schweren hölzernen Eingangstür der Moschee, die schwarze Brandspuren davontrug. Das Feuer konnte gelöscht werden, bevor es auf das übrige Gebäude übergriff. Auch auf eintreffende Polizisten zielte Sinké mit seiner Handfeuerwaffe. In seiner Wohnung im nahegelegenen Saint-Martin-de-Seignanx wurden wenig später weitere Schusswaffen und auch Granaten gefunden.

Der mutmaßliche Täter hatte auch eine Butangasflasche präpariert, offenbar mit der Absicht, die Moschee in die Luft zu sprengen. Aufgrund des frühzeitigen Eintreffens der Polizei kam diese jedoch nicht zum Einsatz.

 

Umso unverständlicher erscheint es, dass die Staatsanwaltschaft sich entschloss, nur wegen Straftatbeständen wie Körperverletzung, nicht jedoch wegen Terrordelikten zu ermitteln. Nicht nur Méhana Mouhou, der Anwalt des halbseitig gelähmten Opfers, empört sich darüber und argumentiert, hätte ein Täter mit muslimischem Hintergrund in vergleichbarer Weise eine Kirche attackiert, würde der Tatvorwurf längst auf Terrorismus lauten.

Wie der öffentlich-rechtliche Radiosender France Info unter Berufung auf Polizei- und Militärquellen berichtete, handelt es sich bei Sinké, anders als etwa vom privaten Fernsehsender TFI berichtet, nicht um einen ehemaligen Militärangehörigen, sondern lediglich um einen Militärschulabsolventen. Später verlegte er sich auf das Anfertigen von Skulpturen. Eines seiner bekannteren Werke zeigt etwa die Fahne der USA; in die Skulptur sind auch ein Dollarzeichen und eine Schusswaffe integriert.

Öffentlich in Erscheinung trat Sinké als Kandidat bei den französischen Départmentswahlen im März 2015. Damals trat er für den Front National (FN) an, die Partei von Marine Le Pen, die sich im Juni 2018 in Rassemblement National (RN, Nationale Sammlungsbewegung) umbenannte. Ein Foto vom 14. März 2015, das die Regionalzeitung Sud Ouest vorvergangene Woche publizierte, zeigt die Parteivorsitzende Le Pen mit Sinké sowie weiteren Kandidatinnen und Kandidaten des FN. Später wurde er aus der Partei ausgeschlossen – wohl weil er zu unkontrollierten rassistischen und homophoben Ausfälle neigte, die der rechts­extremen Partei in dieser Form und diesem Ausmaß eher kontraproduktiv ­erschienen. Der Abgeordnete der Nationalversammlung, Lionel Causse, der zwischen 2014 und 2017 Bürgermeister in Saint-Martin-de-Seignanx gewesen war, sagte dem öffentlich-rechtlichen Radiosender France Bleu, Sinké habe häufig rassistische und homophobe Positionen vertreten. Von seiner rechtsextremer Gesinnung hätte man bereits vorher wissen können. Im September 2014 hatte er das Buch »Frankreich mit offenem Herzen oder Blicke auf das menschliche Elend« veröffentlicht, in dem es von Ausfällen gegen Mus­lime und gegen Homosexuelle wimmelt.

Der betagte Rechtsextreme trat auch durch mehrseitige, teilweise wirre Schreiben an die Staatsanwaltschaft von Bayonne in Erscheinung. So schrieb er an die Behörde, er erstatte Strafanzeige gegen Staatspräsident Emmanuel Macron wegen »Nichtanwendung der Menschenrechte«. Es folgten seitenlange Ergüsse über die soziale Lage in dem Land, die Bewegung der »Gelben Westen« und Ausländer.

Claude Sinké handelte mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht im Rahmen einer wie auch immer gearteten Organisation. Wirklich isoliert war er jedoch nicht, jedenfalls nicht mit seinen Ideen. Der rechts­ex­treme Bürgermeister von Béziers, Robert Ménard, bestätigte etwa dem von der Tageszeitung Libération betriebenen Rechercheportal Checknews, einen Beitrag mit einer Information über das Attentat von Ba­yonne von seiner Facebook-Seite gelöscht zu haben, weil zu viele zustimmende und die Tat offen bejubelnde Kommentare gepostet worden seien. »Bravo, Opi«, »Das ruft doch Freude hervor« und »Man müsste alle Moscheen hochgehen lassen«, hieß es dort etwa, wie screenshots von Ménards Facebook-Seite belegen. Auch die offi­zielle Website des RN und rechtsextreme Medien wie Fdesouche sahen sich zu ähnlichen Schritten gezwungen wie Ménard.

 

In den Wochen vor dem Anschlag war in vielen Medien eine Einwanderungsdebatte geführt und über das islamische Kopftuch und die »nationale Identität« diskutiert worden. Sicherlich gibt es in Frankreich Gruppen und Personen, deren Einwände gegen gesellschaftliche Erscheinungsformen des Islam nicht rassistisch motiviert sind, sondern auf universalistischen Vorstellungen beruhen. Tatsächlich wird in der derzeitigen Debatte – unter dem Deckmantel der Problematisierung von Ausdrucksformen des Islam – aber vor allem der Aufenthalt von Einwan­derern oder sogenannten fremdkulturellen Elementen in Frankreich verhandelt. Der billige Einwand, dies sei kein Rassismus, weil der Islam keine Rasse sei, kann darüber keineswegs hinwegtäuschen.

Im Privatfernsehsender CNews wurde am Tag nach der Tat stundenlang darüber debattiert, inwiefern »Multikulturalismus als Gewaltursache« zu betrachten sei und ob nicht die Einwanderungsgesellschaft Schuld daran ­trage, wenn es zu Konflikten und Gewalttaten komme. Als eifrige Mitdiskutantin präsentierte sich die junge rechtsextreme Journalistin Charlotte d’Ornellas, die für das Wochenmagazin Valeurs actuelles – in seinen Positionen ungefähr vergleichbar mit der Jungen Freiheit in Deutschland – tätig ist. D’Ornellas hatte kurz zuvor öffent­liche Aufmerksamkeit erregt, da sie in einer Talkshow zum Thema Gewalt gegen Frauen folgenden Satz beigesteuert hatte: »Katholiken prügeln ihre Frauen nicht.« Der verblüffte Modera­tor hatte daraufhin auf die Relevanz des Themas im katholisch geprägten Spanien verwiesen.

Wenige Tage vor dem Angriff von Bayonne hatte der französische Präsident Emmanuel Macron Valeurs actuelles im Präsidentenflieger ein Interview gegeben, in dem er unter anderem die am Mittwoch voriger Woche beschlossenen Verschärfungen des Einwanderungsrechts ankündigte. So sollen Asylsuchende ohne Papiere künftig während der ersten drei Monate in Frankreich von der Krankenversicherung ausgeschlossen bleiben.