Ausstellung zum Mauerfall

Sprechende Landschaften

Die Ausstellung »Die wir nie gewesen sind« nähert sich dem Jubiläum des Mauerfalls in nachdenklicher Weise und lotet das Verständnis von Erinnerung und Gedenken neu aus.

Das dreißigjährige Jubiläum des Mauerfalls wird in Deutschland dieser Tage pompös begangen. Doch viele haben ein gespaltenes Verhältnis zu diesem Ereignis. Sie wollen nicht so laut feiern, sondern eher auf eine leise Weise erinnern. Sie beschäftigt nicht der »Sieg« eines Systems über das andere, sondern wie die Politik ihren Lebensweg geprägt hat. 

Der Deutsche Künstlerbund zeigt zurzeit die (auto)biographischen Arbeiten einiger Künstlerinnen und Künstler, die sich mit den Geschehnissen von 1989 beschäftigen. Viele der Künstler, die Angelika Richter, die Leiterin des Künstlerbundes und Kuratorin der Ausstellung, ausgesucht hat, wurden in den siebziger und achtziger Jahren in der DDR geboren. Die ausgewählten Arbeiten zeichnen sich dadurch aus, dass sie mehrdeutig und nicht plakativ sind, weder in die Falle romantisierender »Ostalgie« tappen, noch den banal-brutalen Charakter von Politparolen haben.

Casting mit Bärten. Still aus Sven Johnes Film »Some Engels« von 2013.

Bild:
beide Bilder: wFalk Haberkorn & KLEMM‘s, Berlin

Da wäre der Film »Arbeit am Mythos« der Leipziger Medienkünstlerin Luise Schröder zu nennen, in dem Fotos berühmter Bauwerke in Dresden aus Reiseführern und Bildbänden dem Verfall duch Wassereinwirkung preisgegeben werden. In ihrer künstlerischen Praxis beschäftigt sich Schröder oft mit dem Gedenken beziehungsweise mit der Frage, wie dieses politisch und medial beeinflusst, manipuliert und geformt wird. Fragen nach der Mythisierung der Stadt Dresden werden hier anhand von Aufnahmen aus der Vorkriegs­zeit aufgeworfen. Die Einwirkungen fügen die Bauwerke auf den Aufnahmen zu neuen Gebilden zusammen, verzerren und verrätseln sie.

Rätselhaft wirken auf den ersten Blick auch Wiebke Loepers Fotografien ikonischer Berliner Orte wie des Palasts der Republik. Doch hier wurden nicht wie üblich die golden glänzenden Fassaden abgebildet. Stattdessen lichtete die Fotografin aus Ostberlin scheinbar bedeutungslose, austauschbare Details ab. Loeper wirft den Blick auf das Unscheinbare, Versteckte, Randständige, Uneindeutige. Berlin, sagt sie im Gespräch mit der Jungle World, habe sich zur Entstehungszeit der Bilder 2005 bis 2006 in der Schwebe befunden, davon wolle sie Zeugnis ablegen. Sie stellt ebenfalls Fragen nach der Mythisierung von Bauwerken und danach, wie Architektur politisch instrumentalisiert wird. Dem unbelebten Raum zur Seite gestellt hat sie junge Frauen der Nachwendezeit. »Sylvia« und »Lily« wurden von Loeper ebeten, sich selbst in der Spiegelung auf der fotografischen Linse zu suchen, während sie das Bild schoss, »mit dem prüfenden Blick, mit dem man in den Spiegel schaut und sich seiner selbst gewahr wird«, so Loeper.

 

Eindrucksvoll ist auch ihre Arbeit »Moll 31«, die schon 1995 in Buchform erschienen ist. Loeper vergleicht darin ihr Elternhaus vor und nach der Wende anhand von alten Fotos aus dem Archiv ihrer Familie sowie von späteren, von ihr selbst gemachten Aufnahmen aus der Nachwendezeit. Auf den grobkörnigen ­Vorwendefotografien der einzelnen Räume sieht man die zwar einfache, aber belebte Wohnung mit einer schwangeren Frau, später mit drei Kindern. Die spartanisch eingerichteten Zimmer treten angesichts der Vitalität der darin Wohnenden – hier wird Fasching gefeiert und Weihachten begangen – in den Hintergrund. Loeper hat sich bei ihren Nachwendeaufnahmen bemüht, die gleiche ­Position wie auf den alten Fotos einzunehmen, so dass die Gegenüberstellung sehr genau gelingt. Auf den späteren, menschenleeren Bildern ist die Wohnung dem Verfall preisgegeben. Das Haus galt bautechnisch als nicht mehr sicher, mittlerweile wurde es abgerissen. Da die Mutter der Fotografin früh verstarb, stellt »Moll 31« auch eine Erinnerung an sie dar, die die Wende nicht mehr erlebte.

Das Setting in Sven Johnes Film ist ein Casting-Büro, in dem mehrere Männer in einem Rollenspiel gegen­einander anzutreten scheinen. Sie müssen ihre schauspielerischen Künste und ihr rhetorisches Talent unter Beweis stellen. Sie legen sich beispielsweise Bärte an und verwandeln sich so in Karl Marx oder Friedrich Engels, um Fragen nach dem »Kommunistischen Manifest« in seiner ursprünglichen Form und nach der Aktualität des Kommunismus zu beantworten.

Weniger spielerisch arbeitet der aus Dresden stammende Filmemacher Mario Pfeifer. In seinen eindrucksvollen Interviews berichten Menschen über ihre alltäglichen Erfahrungen, über Arbeitsverlust, Wegzug von Nachbarn, Abwanderung, Zukunftssorgen. Sie geben nicht nur Auskunft über sich selbst, sondern auch über ihre Vorstellung von einer progressiven Gesellschaft. Viele von ihnen engagieren sich auch zivilgesellschaftlich. Diese Porträts wenden sich gegen Klischees wie dem der jammernden, unengagierten Ostdeutschen oder dem des mental nach rechts abgedrifteten Sachsen.

Der in Ostberlin geborene, in Leipzig lebende und arbeitende Künstler Falk Haberkorn streift in seiner fotografischen Dokumentation auf Landstraßen durch die ostdeutsche Provinz. Man fragt sich, wo deren Bewohner geblieben sind. Haberkorn gibt leise Auskunft über den brain drain, der hier stattgefunden hat. Den »blühenden Landschaften« stellt er einfach Landschaften gegenüber, die für sich sprechen.

Von Abwesenheit berichtet auch die Berliner Multimediakünstlerin und Professorin für Medienkunst Peggy Buth in ihrem Beitrag zur Ausstellung: einem kleinen Foto, auf dem ein leerer, verwaister Sockel zu sehen ist. Hinter dem schweren Sockel tut sich ein hellblauer, wolkenloser Himmel auf, einige Kiefern ducken sich hinten im unteren Bild-drittel. Wer auf diesem Sockel einst gestanden hat, ist nicht erkennbar, keine Inschrift verrät, wessen hier einmal gedacht wurde. Dieses Foto, das eine monumentale Abwesenheit wie auch einen fast beängstigend freien, unverstellten Himmel zeigt und von Verlust und Gewinn, Vergangenem und Neuem erzählt, bildet so etwas wie das inhaltliche Zentrum der Ausstellung. In dieser wird nicht larmoyant der alte Staat oder der Westen angeklagt, es werden keine unterkomplexen Antworten auf die Fragen eines schwierigen gesellschaftlichen Transformationsprozesses gegeben. Stattdessen weisen alle Arbeiten still, aber bestimmt auf etwas hin: Es werden Residuen und Spuren aufgezeigt, Randnotizen und biographische Äußerungen festgehalten. Es wird ein Verschwinden im Kleinen und im Großen thematisiert. Die Künstler haben sich Gedanken über die Höhe des Himmels vor und nach den Denkmälern gemacht. Der Titel der Ausstellung »Die wir nie gewesen sind« verweist auf die Legendenbildungen über »den« Osten (wie auch »den« Westen), die nach dem Fall der Mauer einsetzten und Menschen weiterhin prägen – und verfolgen.

Die Ausstellung »Die wir nie gewesen sind« ist noch bis zum 29. November beim Deutschen Künstlerbund in Berlin zu sehen.