Das neue Album der Swans

Vergessen, Verschwinden, Verstecken

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Das Vergessen, das Verschwinden und das Verstecken beherrschen die Texte auf »Leaving Meaning«, wie der Titel des Songs »Amnesia« schon andeutet, in dem der Verlust der Erinnerung allerdings als etwas Positives beschrieben wird (»To gain control of this feeling: Amnesia (…) / Now you’re sucking from this machine: Amnesia«). Den Zustand der Welt zu ertragen, in der die Luft zum Atmen fehlt, in der das (Durch-)Atmen zu einem obszönen Akt wird (»When you breathe, your breath is obscene«) – das gelingt nur, wenn man einen Moment lang vollständig vergisst, was ist. Denn vor dem Horror der Gegenwart kann man nur kapitulieren, wie Gira in »Sunfucker« immer wieder wiederholt: »Surrender, surrender«. Der Wunsch zu verschwinden, er zeigt sich auch auf den Pressefotos zum Album, auf denen Michael Gira sein Gesicht hinter allen möglichen Gegenständen wie alten Polaroids und einem Nussknacker verbirgt.

Textlich interessant ist noch »The Hanging Man«. Man könnte dieses Stück als Anspielung auf die Vorwürfe gegen Gira lesen, die seine Musikerkollegin Larkin Grimm 2016 erhob. Die Songwriterin sagte damals, Gira habe sie acht Jahre zuvor in einem Produktionsstudio vergewaltigt, Gira wies diese Anschuldigungen gegenüber mehreren Medien scharf zurück. In »The Hanging Man« nun werden nicht nur die Themen Lust und Verurteilung angesprochen, es geht auch um Lüge (»Write it on the sky: these stars reveal the lie«). Wie gesagt: Man kann es so verstehen, aber es könnte sich auch um etwas völlig anderes drehen.

Musikalisch ist das eine Stunde und 33 Minuten lange Album keine völlig Abkehr von dem, was Gira mit den Swans zuvor gemacht hat. Es ist eher eine Reform als eine Revolution ihres Sounds. »Leaving Meaning« ist ruhiger, es erinnert an den folkigen Ansatz eines Mark Lanegan zum Beispiel, es macht – mit The Necks – von Zeit zu Zeitauch einen angenehm improvisierten Schlenker, der für Abwechslung sorgt. Die Grundstimmung ist wesentlich ruhiger als zuletzt, alles wirkt recht stripped down – im Grunde sind die Songs auch sehr schlicht und simpel konstruiert.

Trotzdem ist eine Menge los in den zwölf Stücken, was daran liegt, dass sie reich instrumentiert sind und es manchmal klingt, als hätte Gira viele hauchdünne Soundschichten sorgsam übereinandergestapelt. In seinen besten Momenten klingt das dann wie eine tiefe, melancholische Meditation, eine Sinnsuche, eine in Bewusstseinströme verpackte Reflexion über die Jetztzeit. Und damit wie ein neues, äußerst hörenswertes Kapitel der Swans-Story.

Swans: Leaving Meaning (Mute/PIAS)