Small Talk - dem Berliner Hausprojekts »Liebig 34« droht die Räumung

»Es lohnt sich zu kämpfen«

Am 31. Dezember 2018 endete der Pachtvertrag des linken Hausprojekts »Liebig 34« in Berlin. Seitdem droht dem Kollektiv die Räumung. Am Freitag voriger Woche sollte vor dem Berliner Landgericht erstmals die Räumungsklage gegen das Projekt verhandelt werden. Die Jungle World sprach mit Jessy Kaminski (JK) und Martha Camé (MC) aus der »Liebig 34«.
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Was ist am ersten Prozesstag passiert?
JK: Die Sicherheitsauflagen waren extrem hoch. Zu Beginn der Verhandlung fiel eine Person in Ohnmacht. Zwei Personen schrien und zogen sich die Oberteile aus. Andere Personen banden sich in zwei Reihen hintereinander mit Kabelbindern fest und schrien: »Liebig bleibt!« Die Polizisten sind sofort reingerockt und brutal auf die Leute losgegangen. Sie schienen sehr unvorbereitet zu sein und wussten offenbar nicht, wie sie damit umgehen sollen. Dann wurde die Öffentlichkeit vom Prozess ausgeschlossen. Später wurden die Leute aus dem Gerichtssaal zur Kundgebung geschubst, die vor dem Gebäude stattfand. Dort wurden sie eingekesselt. Alle Personen, die als weiblich gelesen wurden, bekamen eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs und Widerstands, womit die ganze Kundgebung kriminalisiert wurde.
MC: Außerdem haben die angezeigten Personen auf unbestimmte Zeit Hausverbot im Landgericht bekommen. Die beiden Prozessbevollmächtigten wurden vor dem Prozess festgenommen, die einzigen Verhaftungen an dem Tag.
JK: Eine der beiden Bevollmächtigten sah wohl einer mit Haftbefehl gesuchten Person ähnlich, war aber nicht die Gesuchte. Die andere Person hatte Farbe an den Händen. Es wurde getestet, ob es sich um die Farbe handelte, mit der am Vortag das Gerichtsgebäude beschmiert worden war. Der Anwalt der Gegenseite beantragte ein Versäumnisurteil, dem aber nicht stattgegeben wurde. Am 13. Dezember wird es einen zweiten Gerichtstermin geben.

Warum ist Ihr Haus räumungsbedroht?
MC: Die Siganadia Grundbesitz GmbH & Co. KG, eine der Firmen des Investors Gijora Padovicz, hat das Haus 2008 gekauft, Ende 2018 ist unser Pachtvertrag ausgelaufen. Nach unseren Rechnungen wurde mit dem Haus so viel Gewinn gemacht, dass es für Padovicz nicht schlimm wäre, es zu verlieren. Alle unsere Anfragen an Siganadia blieben unbeantwortet, deswegen haben wir irgendwann gesagt, dass wir uns nicht mehr auf Verhandlungen einlassen.
JK: Padovicz ist ein großer Player auf dem Immobilienmarkt. Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir keinen dirty deal machen wollen. Wir werden nicht in ein Ersatzobjekt umziehen und so andere Leute verdrängen. Wir möchten ganz klar unsere antikapitalistische Linie verfolgen.
Die »Liebig 34« bezeichnet sich als »queer-anarcha-feministisch«. Was heißt das für das Leben im Haus?
MC: Das umfasst die Organisation innerhalb des Hauses, aber auch, was wir nach außen tragen. Wir sind ein Teil der radikalen Linken, der sich ohne Cis-Männer organisiert. Wr wollen ein Schutzraum sein, der relativ frei von Cis-Männern ist, und auch für Leute da sein, die wenig Geld haben. Wir sprechen öffentlich über radical softness und Dinge, die sonst in der teils mackerigen linken Szene eher nicht vorkommen.
JK: Wir sind ein anarchistisches Hausprojekt, das an die Geschichte der Hausbesetzungen im Kiez anschließt. Wir haben einen ganz klaren Selbstorganisierungsanspruch und wollen einen hierarchiearmen Raum gestalten.

Wie geht es nun weiter?
MC: Wir sind nicht so naiv, dass wir dächten, es werde schon alles funktionieren. Auf alle Fälle werden wir nicht ohne Widerstand gehen. Verlieren wir das Haus, verlieren wir, der Kiez und die Berliner Linke einen Wohn- und Organisationsraum für 35 Leute, einen Infoladen, eine Bar, einen Fahrradladen und einen Proberaum. Dafür lohnt es sich zu kämpfen – komme, was wolle.