Essay - Über die Aktualität des autoritären Charakters

Hass, Identität und Differenz

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Insofern ist die »neoliberale Persönlichkeit« (Gandesha) die bislang letzte Inkarnation des autoritären Charakters im 21. Jahrhundert. In ihr sind die universalistischen Ideale der Aufklärung von Autonomie, Freiheit und Gleichheit in Ideologie verkehrt. Das manifestiert sich auch darin, dass es gerade rechte Parteien sind, die sich das Label freiheitlich anheften, und damit nicht tatsächlich universell gültige Freiheit und Gleichheit einfordern, sondern die beschränkte Freiheit der ethnisch Gleichen, Ethnopluralismus und Nationalismus propagieren. Die in diesen Bewegungen und Parteien geforderte Gleichheit, Freiheit, Einheit und Identität werden zum Massenbetrug.

Hass auf Differenz und Identitätszwang

Der Hass auf Differenz bleibt die Konstante im autoritären Charakter. Dieser Hass manifestiert sich in einer Überbetonung der Differenz in identitären, nationalistischen, antifeministischen und rassistischen Strömungen. Differenz ist hier ein Schandmal, das ausgemerzt werden muss, oder zumindest, im Ethnopluralismus, in der eigenen ingroup nichts zu suchen hat. Die Einheit der ingroup wird durch die innere Reinheit gewährleistet. Mixophobie ist das dazugehörige Syndrom. Die einzige Differenz, die innerhalb der autoritären ingroup akzeptiert wird, ja die in den eigenen Reihen eine Überbetonung erfährt, ist die binäre, heteronormative Geschlechterdifferenz. Auf der Aufrechterhaltung der strikten Grenzen zwischen den Geschlechtern beruht die Einheit der Gruppe. Diese Einheit überdeckt ideologisch tatsächliche sozioökonomische Ungleichheit.

Abgewehrt wird der Universalismus des klassischen Humanismus ebenso wie liberaler und sozialistischer Zugänge, wie generell die Tradition der Aufklärung. Die identitäre Betonung des Besonderen gegenüber dem Allgemeinen war immer schon Strategie der antiaufklärerischen Reaktion. Bereits im späten 18. Jahrhundert starteten die Gegenaufklärer einen fundamentalen Angriff auf die Allgemeinheit der Aufklärung und benutzten ein empirisches Verständnis kultureller Identität gegen liberale Demokratie, Pluralismus und Sozialismus. Was das einigende Band zwischen den Einzelnen ausmachte, war in ihren Augen nicht ein gemeinsames sinnstiftendes Ziel, nicht Emanzipation und die vernünftige Einrichtung der Gesellschaft, sondern – wie Stephen Eric Bronner ausführt – mythische, romantische und existentielle Wurzeln, die sie teilten und die sie von anderen strikt unterschieden. Bis heute bezieht sich jede identitäre Einstellung, ob rechts oder links, auf solche Art von Pseudokonkretheit und Pseudoerfahrung gegen universalistische Ideale.