Essay - Über die Aktualität des autoritären Charakters

Hass, Identität und Differenz

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Universalistische Grundannahmen der Aufklärung gelten auch in linken sozialen Bewegungen zusehends als inadäquat und ausschließend. Auch hier ist eine einseitige Betonung von Differenz gegenüber dem Gemeinsamen zu beobachten. Sie findet indes unter dem Vorzeichen nicht der Ausgrenzung, sondern der Bewusstmachung und Anerkennung der Erfahrung und Situation von marginalisierten Gruppen statt. Die ­Anerkennung von Differenz schließt die Forderung nach Gleichheit nicht unbedingt aus, wie in der Tradition der kritischen Theorie stehende ­feministische Theoretikerinnen dargelegt haben. In der Praxis aber wird Solidarität häufig auf Grundlage von Attributen wie Ethnizität, Gender, sexueller Orientierung, Nation, Religion oder Kultur gebildet und darauf eingeengt. Das befördert die Bildung abgeschotteter identitärer Gruppen, deren Mitglieder allein für sich und ihre situationsspezifischen Erfahrungen sprechen sollen. Diese Betonung der vorgeblich unmittelbaren Erfahrung aber führt laut Bronner gleichzeitig zu einem intellektuellen Provinzialismus und zu einer Selbstreferentialität und Selbstgerechtigkeit, mit der jede Kritik von außen abgeschmettert werden kann.

Die Ablehnung des Universalismus und der Tradition der Aufklärung sind ein gemeinsames Merkmal linker und rechter Identitätspolitik. Diese Linke will damit das Partikulare gegen das Allgemeine behaupten und nimmt für sich in Anspruch, ein Ende von Unrecht und Ausbeutung anzustreben, indem sie marginalisierten Gruppen dazu verhilft, ihre ­eigenen Interessen zu verfolgen. Sie zieht sich jedoch oft identitär auf Gruppenpositionalisierungen zurück und verfällt Paula-Irene Villa zufolge zuweilen einem »positionalen Fundamentalismus als Politiksurrogat«: Eine »kulturelle oder positionale, bisweilen schlicht biologistische Verdinglichung betreibt das Geschäft des Essentialismus in kritisch-links-grün.«

Die häufig pauschal vorgebrachte Abwehr der Idee des Allgemeinen als nur und immer schon repressiv, wie von Judith Butler vorgetragen, vermengt sich mit einer hymnischen Verehrung von Diversity – und impliziert zumeist ein Ausblenden ökonomischer Ungleichheit, wie Walter Benn Michaels in »How We Learned to Love Identity and Ignore Inequality« ausführt. Dieses Ausblenden der Klassenstruktur haben Diversity-Konzepte paradoxerweise mit rechten identitären Ideologien gemeinsam: Bei den Rechten wird Identität zur Kompensation für ökonomische ­Ungleichheit, während die Vorstellung abgewehrt wird, dass Differenzen sich egalitär im Rahmen einer pluralistischen Allgemeinheit bewegen können sollen.

Nicht umsonst ist für Adorno Identität die »Urform von Ideologie« und »urverwandt« mit dem Tauschprinzip. Dieses repräsentiert eine falsche Universalität, die nicht so sehr, wie anderswo, etwa bei Butler, Ernesto Laclau und Chantal Mouffe,  eine ­hegemonial gewordene Partikularität ist, sondern in erster Linie in der Vereinheitlichung der Gesellschaft im Warenaustausch besteht: Alles und jeder wird auf den Punkt der Austauschbarkeit reduziert. Das Geld als Verkörperung des Werts benannte Marx als den universellen leveller, der das Mannigfaltige und Lebendige auf einen gemeinsamen Nenner bringt und identisch macht. Das wahre Universelle ist jedoch vielleicht nirgendwo eindringlicher beschrieben als in Adornos Note »Melange« in den »Minima Moralia«: als der »bessere Zustand (…), in dem man ohne Angst verschieden sein kann«. Wie die Kritik am Tauschprinzip will auch jene am Universalismus, dass das im Begriff gelegene Versprechen verwirklicht werde. Es ist eben bestimmte Negation, die an der Idee des Universellen festhält und dessen ­falsche, repressive Erscheinungsformen kritisiert. Das ist etwas anderes als die bloße Betonung der Differenz und des Partikularen gegen die ­subsumierende Kraft des Universellen. In bestimmter Negation werden beide, Universelles und Partikulares, als gleichermaßen beschädigt erkannt.