Eine mit EU-Geldern finanzierte Studie stellt Islamismuskritiker ­unter Rassismusverdacht

Diagnose Kritikphobie

Eine Stiftung, die der türkischen Regierungspartei AKP nahesteht, veröffentlichte eine Studie über »Islamophobie« in Europa, die Islamismuskritiker wie Seyran Ateş diskreditieren soll. Sie wurde von der EU mitfinanziert, ihre wissenschaftliche Güte ist fragwürdig.

Er sorgte für große Aufregung, auch in Deutschland: der von den österrei­chischen Politikwissenschaftlern Farid Hafez und Enes Bayraklı herausge­gebene »Europäische Islamophobie-Report 2018«, der im Oktober veröffentlicht wurde. Vor allem die Tatsache, dass die Studie teilweise mit EU-Fördergeldern finanziert wurde, stieß auf Kritik. Das österreichische Außen­ministerium lehnte die Schlussfolgerungen sowie die Methodologie des ­Berichts ab; auch das deutsche Innenministerium äußerte sich kritisch. Der Report, der zum vierten Mal publiziert wurde, führt neben bekannten Rechtsextremen und Rassisten auch zahlreiche Kritiker des Islamismus auf. So bezeichnete Hafez die Berliner Rechtsanwältin Seyran Ateş als »zent­rale Figur im Islamophobie-Netzwerk«. Das österreichische Außenministerium will sich da­für einsetzen, die Förderkriterien der EU so zu ändern, dass ­solche Projekte künftig keine Finanzhilfen mehr erhalten.

Auch die Stiftung für politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Forschung (Seta) mit Hauptsitz in Istanbul trug zur Finanzierung der Studie bei. Die Nichtregierungsorganisation gilt seit Jahren als der türkischen Regierungspartei AKP nahestehend. Das sei allein »schon am Führungspersonal erkennbar«, sagte die Wiener Politikwissenschaftlerin Nina Scholz im Gespräch mit der Jungle World. Seta wurde 2005 von Ibrahim Kalin gegründet, der die Stiftung bis 2009 leitete

Durch die Gleichsetzung von »Islamophobie« mit Rassismus werden die von den Herausgebern erwähnten Kritiker des Islamismus zu Rassisten erklärt.

und dann zum außenpolitischen Chefberater des damaligen türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan ernannt wurde. Darüber hinaus ist der gegenwärtige Generalkoordinator von Seta, Burhanettin Duran, Scholz zufolge zugleich Mitglied des sicherheits- und außenpolitischen Ausschusses des türkischen Präsidialamts. Die Kontakte von Seta reichen bis weit in die deutsche Politik hinein. Zafer Meşe, der sich selbst in einem Interview mit der Taz als CDU-Mitglied bezeichnete und auf der Website von Seta als »Koordinator Berlin« geführt wird, arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit dem Schwerpunkt außen- und sicherheitspolitische Themen.

Wie Oliver Mayer-Rüth, der Türkei-Korrespondent der ARD, auf tagesschau.de berichtete, machten Seta-Mitarbeiter ihm gegenüber keinen Hehl daraus, dass »ihre politischen Studien in den meisten Fällen Positionen der Regierungspartei AKP und des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ideologisch stützen«. Mayer-Rüth zufolge veröffentlichte Seta im Juli einen Bericht mit dem Titel »Der verlängerte Arm internationaler Medienorganisationen in der Türkei«. Darin seien zahlreiche Journalisten aufgelistet worden, die sich kritisch über Erdoğan geäußert haben sollen.

Kritikabwehr scheint auch das Ziel der Herausgeber des »Europäischen Islamophobie-Reports« zu sein. »Zwischen rassistischen Handlungen oder Statements und kritischer, der Aufklärung verpflichteter Auseinandersetzung mit religiösen Vorstellungen, mit islamistischen Strömungen und deren Organisationen«, sagt Scholz, werde dort kein Unterschied gemacht. Diese Vorgehensweise diene dazu, die Deutungshoheit darüber zu erlangen, »was über den Islam gesagt werden darf und was nicht«. Letztlich sei es der Versuch, alle »abweichenden Stimmen aus dem Diskurs zu verdrängen«. Die Studie sei unwissenschaftlich, so Scholz. »Die Herausgeber haben sich an keiner Stelle die Mühe gemacht, die von ihnen angewandten Methoden der Erhebung zu erläutern oder sonstige wissenschaftliche Kriterien zu beschreiben, die ihrer Arbeitsweise zugrunde liegen«, sagte die Politikwissenschaftlerin der Jungle World. Es gebe keinerlei transparentes Studiendesign.

Durch die Gleichsetzung von »Islamophobie« mit Rassismus werden die von den Herausgebern erwähnten Kritiker des Islamismus zu Rassisten erklärt. Das führt so weit, dass Hafez in der Taz behauptete, es sei sogar islamophob, »wenn sich der heiligste Mufti für ein Kopftuchverbot einsetzen würde«.

Neben solchen inhaltlichen Problemen werfen auch die organisatorischen Verbindungen der Herausgeber und Autoren des Reports Fragen auf. So war Hafez, ein ehemaliges Mitglied der Muslimischen Jugend Österreichs, Anfang des Jahres beim »Zweiten Treffen der europäischen Muslime« in der Kölner Ditib-Moschee zu Gast, wie das Portal Mena-Watch berichtete. Seine Tätigkeit am »Center for Right-Wing Studies« der University of California in Berkeley hinderte ihn nicht daran, zugleich als geschäftsführender Direktor des Leopold-Weiß-Instituts aufzutreten, das neben Seta als Herausgeber des »Europäischen Islamophobie-Reports« firmiert und nach einem Juden benannt ist, der 1926 in Berlin zum Islam konvertierte und sich der salafistischen Strömung anschloss.

Die Autorin des Kapitels über Deutschland, Anna-Esther Younes, promovierte am Hochschulinstitut für internationale Studien und Entwicklung in Genf, einer Hochschule mit dem Rechtsstatus einer privaten Stiftung, mit Unterstützung der US-amerikanischen Philosophin Judith Butler zum Thema »Rasse, Kolonialismus und die Figur des Juden im neuen Deutschland«. Vor fünf Jahren moderierte die Politologin in Berlin eine Veranstaltung mit den beiden Antizionisten Max Blumenthal und David Sheen mit dem Titel »Israels Kriegsverbrechen in Gaza«; Blumenthal und Sheen wurden in Deutschland bekannt, als sie im Zusammenhang mit dem Streit über die Ver­anstaltung Gregor Gysi, den damaligen Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der Linkspartei, im Parlamentsgebäude bis auf die Toilette verfolgten.

Die Or­ganisatoren waren neben der Gruppe »Berlin für Gaza« und dem »Arbeitskreis Nahost« die örtliche Gruppe der antisemitischen Israel-Boykottbewegung BDS. Als Kuratorin des palästinensischen Kulturfestivals »After the Last Sky«, das 2016 im Ballhaus Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg stattfand, zog Younes ebenfalls Kritik auf sich. Israels damaliger Botschafter Yakov Hadas-Handelsman drückte in einem Brief an Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) seine »tiefe Besorgnis« über den während des Festivals verbreiteten Hass auf Israel aus.

Anfang November war Younes als Sprecherin auf der Konferenz »Strategien gegen rechts« des Berliner Landesverbands der Linkspartei angekündigt. Gemeinsam mit der Bundestags­abgeordneten Martina Renner und Gerd Wiegel, Referent der Bundestagsfrak­tion der Linkspartei, sollte sie den Auftakt gestalten. Doch Younes wurde kurzfristig ausgeladen. Der Journalist Sebastian Friedrich berichtete auf seiner Facebook-Seite, der Name der Referentin sei auf der Facebook-Veranstaltungsseite sowie auf der Seite der Berliner Linkspartei »stillschweigend ohne Nennung von Gründen entfernt« worden. Als »nicht offizielle Begründung« sei der Referentin mitgeteilt worden, sie habe »irgendwann mal im Netz irgendetwas wegen BDS unterschrieben«. Anfragen der Jungle World dazu ließ die Linkspartei unbeantwortet.