Der letzte linke Kleingärtner, Teil 59– ein lebensrettendes Huhn

Huhn rettet Mann

Kolumne Von


Meine Güte, das war knapp. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal bei einem meiner Hühner aus vollstem Herzen würde bedanken müssen. Beim morgendlichen Rauslassen der gefiederten Rasselbande hatte ich glatt übersehen, dass der Betonweg zum Gehege mit Eis überzogen war. Nicht viel, aber es hätte vollkommen ausgereicht, um mich, den größten Kleingärtner unserer Zeit, zu Fall zu bringen. Doch mir ist nichts passiert. Stattdessen legte sich eines meiner Hühner auf den Schnabel. Dumm wie es ist, erkannte es ebenso wenig wie ich die Gefahr und wetzte wie gewohnt in Richtung Gehege. Zack, lag es auf dem Allerwertesten, fing sich mit dem Schnabel ab und lief weiter, als sei nichts geschehen. Die Dummheit des Huhns war mein Glück. Ich bremste kurz ab, umging die Stelle und konnte aufrechten Gangs weiter durch den Garten stolzieren und die Hühner zum Gehege begleiten. Schön, dass die Dummheit der einen den aufrechten Gang der anderen ermöglicht und damit einen Nutzen hat für unsereinen, also für die Gesellschaft. Ich bin ja wir. Und schön, dass ich nicht so dumm wie ein Huhn bin. Glück gehabt!

Nun nähert sich die Weihnachtszeit und mit ihr das nie enden wollende Bedürfnis nach Heimat und Geborgenheit. Okay, »Heimat« ist in dieser Zeitung nicht der optimale Begriff, aber als Kleingärtner habe ich mehr Freiheiten als andere. Und Freiheiten sollte man nutzen, sonst würde man wieder nur seine Fesseln spüren. So wie früher, als das Proletariat vor allem »mit Macht zum Durchbruch drang« – als also alles noch überschaubar war –, dringt heutzutage das Selbstgemachte mit Macht auf den Gabentisch und bildet ein häusliches, aber gleichwohl wärmendes mentales Lagerfeuer gegen die Riesenwelle der alles hinwegfegenden kalten, bösen Industrieware. Nein, so was kommt mir nicht ins Haus. Da setze ich ganz auf Tradition und die gute alte Zeit.

Die Weihnachtszeit gibt mir die Zeit und die innere Ruhe, ein neues Geschäftsmodell auszutüfteln. Eben eines mit Zukunft, das irgendwie nachhaltig ist und wenig CO2 ausstößt. Ich träume schon lange von Arbeitskräften für meinen Garten, die ich von meinem häuslichen Kontrollraum aus überwachen und zur Arbeit einteilen kann. Das funktioniert auch anderswo mit jungen Leuten, wenn sie in einem entwicklungspolitischen oder sozialen Projekt einen Auslandsaufenthalt absolvieren und dafür noch ordentlich zahlen. Es kann ein lukratives Geschäft für die Anbieter sein. Ein bisschen öko und sozial macht sich gut im Lebenslauf, was für diejenigen wichtig ist, die schon früh an ihre Karriere und eine sichere Rente denken. Da wertet eine kleine Prise Soziales selbst die langweiligste Existenz auf.

In dieses Denken der lebensweltlichen Nutzenoptimierung müsste ich mich einklinken und beispielsweise der Bewegung »Fridays for Future« diesen Deal zu ihrem gefühlten und zu meinem finanziellen Nutzen anbieten. Die mit ihnen sympathisierenden und sich dadurch wieder jung fühlenden Erwachsenen könnten gleich mitkommen. Arbeit ist genug da. Ich mache die Einteilung und lege die Hierarchie fest und gewähre ihnen begrenzte Autonomie. Schließlich muss ich mich nicht um jeden Streitfall kümmern. Das sollen die schön unter sich ausmachen. Für mich ist wichtig, dass das Arbeitsergebnis stimmt. Dafür allzu sichtbar die Peitsche zu schwingen, wäre unklug und würde meinem Image schaden.

Es wäre die perfekte Verwendung für das »Fridays für Future«-Fußvolk. Dafür müsste man dieses aber isolieren von den Klimaberufsjugendlichen, die ihren notorischen Rede- und Mikrophonzwang ausleben und bereits jetzt das Parteibuch in der Tasche und die Beamtenpension vor Augen haben und den devoten Gang durch das institutionelle Gefüge als eine Art lebensoptimierenden Jogginglauf sehen. Für die habe ich einen, natürlich ebenfalls lebensoptimierenden, Aufenthalt auf Grönland vorgesehen. Dort können sie Feldforschung betreiben und den Gletschern beim Schmelzen zuschauen. Dann wären sie nahe an der Realität des Klimawandels, aber doch weit weg von der Realität des nervenden kapitalistischen Drumherums, das unsereinen mit unsichtbarer Hand zu ständigem Wachstum animiert und dem ökologischen wie sozialen Crash unentwegt neue Nahrung verschafft. Wachstum eben.

Ach so, das hätte ich fast vergessen: Handys natürlich bitte vorher abgeben! Es gilt, Isolation zu üben. Dieser Auslandsaufenthalt wäre schön für die Menschheit, für mich und fürs Klima im Land. Und ich könnte vorher noch Wetten annehmen, wer sich von den notorischen jugendlichen Vielrednern auf die handylose Zeit einlässt und wer nicht. Das wären sozusagen Kollateraleinnahmen, die mir zugutekämen. Mein Kontrollraum für die Einteilung der Arbeit im Garten müsste renoviert und mit neuer Überwachungselektronik ausgestattet werden. Irgendwo muss ja das Geld dafür herkommen.

Schon bitter, was unsereinem heutzutage alles kurz vor Weihnachten einfällt. Früher hatten wir uns alle mehr lieb.