Magnus Klaue über Martin Sutter

Lahme Literaten

Folge 27: Martin Suter
Kolumne Von

Es gibt einen spezifisch drögen Typus des Schriftstellers, den man bei Inkaufnahme der Ungerechtigkeit, die damit einem hervorragenden Verlag widerfährt, als Diogenes-Autor bezeichnen könnte. Seit jeher finanziert der Diogenes-Verlag sein Bemühen, die preiswert und gefällig aufgemachten Werke ebenso originärer wie lesbarer Gegenwartsautoren (von Patricia High­smith bis Muriel Spark, von Hartmut Lange bis Jörg Fauser) dauerhaft auf dem Markt verfügbar zu halten, durch eine Form höherer Trivialliteratur.

Diese ist zwar weniger banal als echter Schrott, geistig ansprechender als pure Kolportage und verfügt über intertextuelle Kapillarverbindungen zur Höhenkammliteratur, frustriert und langweilt aber nicht minder als der jeweils neueste Frank Schätzing. Das Lager der Vertreter mäßiger Trivialität ist diffus und trotzdem recht klar konturiert, zu ihm gehören so unterschiedliche Autoren wie Donna Leon und Paulo Coelho, Amélie Nothomb und Dick Francis, Urs Widmer und Andrea de Carlo. Die Trivialität, die sie repräsentieren, hat den Vorteil, international und kosmopolitisch daherzukommen, eine völlig neue Verbindung von Welt- und Schundliteratur. Vielleicht liegt es an der Mischung aus Provinzialismus und Weltläufigkeit, dass sich unter den Repräsentanten dieser Mediokrität viele Schweizer befinden; Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt, die Mittelmaßmodernisten für die Oberstufe, gehören zu ihren Ahnen.

Ihre neueste Erscheinungsform hat die gehobene Trivialität in den Werken des Schweizers Martin Suter gefunden, der den Charakter des biederen Weltbürgers und weitgereisten Auf-der-Stelle-Treters auch biographisch verkörpert. Französisch- und deutschsprachige Erziehung, Ausbildung an der London University, mit Mitte 20 Creative Director einer Baseler Werbeagentur mit besten Kontakten zu Industrie und Wirtschaft: Einer wie Suter, sollte man meinen, muss wirklich nicht zwischendurch auch noch Bücher schreiben, aber selbstverständlich macht gerade er es gern. Weil er sein Leben lang auf allen Kontinenten immer nur Großindustriellen, Unternehmern und anderen Langweilern begegnet ist, handeln seine Bücher, wo auch immer sie spielen, von Unternehmern, Großindustriellen und anderen Langweilern.

Sein 1997 erschienenes Debüt, den ersten Teil einer von in der Midlife Crisis hängengebliebenen Managern handelnden »neurologischen Trilogie«, nannte er »Small World«, ein Hinweis darauf, dass der Horizont seiner Figuren in den Panzerschrank eines Kreditinstituts passt. Die anderen Teile heißen »Die dunkle Seite des Mondes« und »Ein perfekter Freund«, alle dichten in der Form des Beinahe-Krimis ihren Macher-Figuren philosophisch-psychosomatische Gebrechen (Demenz, Gedächtnisverlust, Bewusstseinsspaltung) an, die den Eindruck erwecken, Frank Stronach oder Gerhard Schröder wären in einen Roman von Thomas Pynchon gebeamt worden.

Richtig schlägt die Banalität der Suterschen Erfahrungswelt aber erst dort durch, wo der Autor auf das Gerüst des Krimis verzichtet, sei es zugunsten des flüchtlingspolitischen Exempels (»Der Koch«, 2010), der technikkritischen Parabel (»Elefant«, 2017) oder der launigen Manager-Soap wie in der Kolumnenreihe »Business Class«. Im Interview mit der FAZ erklärt Suter lang und breit, warum er keine Männer in kurzen Hosen mag, Krawatten nicht spießig und Bärte gleichmacherisch sind, lange Haare Brillantine benötigen und er sich ein Revival der Männerhüte wünscht. Seine Leser wünschen sich ­indessen, er hätte mehr in literarische als in modische Stilberatung investiert.