Solidaritätsgruppen helfen von Obdachlosigkeit bedrohten Flüchtlingen

Schlafcouch, Marke Solidarität

Gruppen wie die Berliner »Schlafplatzorga« und das »Project Shelter« aus Frankfurt am Main vermitteln Schlafplätze an wohnungslose Geflüchtete.

Es ist ein kalter Abend in Berlin. In einer Kneipe stellen ein paar junge Leute Töpfe, Schüsseln und Teller auf den Tisch. Es riecht nach frischen Falafeln. Hungrig finden sich die ersten Gäste ein. Schon bald ist der Raum von Gesprächen und dem Geräusch des Kratzens von Besteck auf vollen Tellern ­erfüllt. Gesprochen wird Deutsch, Englisch, Französisch und Arabisch. Die Anwesenden sind wegen der »Küche für alle« gekommen, die von der »Schlafplatzorga« organisiert wird. Die 2014 gegründete Gruppe vermittelt private Schlafplätze an wohnungslose Flüchtlinge. Angeboten werden sie von Freiwilligen, die eine Couch oder ein Zimmer zur Verfügung stellen. In drei Schichten in der Woche vermittelt die Schlafplatzorga den Suchenden Plätze. Nach einem Aufenthaltstitel fragt die Gruppe nicht. Viele Schlafplätze stehen nur für einige Nächte zur Verfügung. Selten kann eine feste Bleibe vermittelt werden.

Geflüchtete, die nach einer Wohnung suchen, erhalten häufig keinen Wohnberechtigungsschein. Dieser ist in Berlin in der Regel Voraussetzung, um eine Sozialwohnung beziehen zu dürfen.

Hani ist einer der wenigen, die eine dauerhafte Unterkunft gefunden haben. Während es in der Kneipe immer voller wird, erzählt er seine Geschichte. Seit einem Jahr wohne er schon in Berlin, seit 17 Jahren lebe er in Europa. Wie viele Geflüchtete, die sich an die Schlafplatzorga wendeten, sei er in Italien gemeldet. Er habe schon drei Ausbildungen absolviert, verdient habe er dabei nichts. In Italien habe er drei Monate auf der Straße gelebt. Später sei er in die Schweiz gegangen. Als er von dort aus nach Tunesien abgeschoben werden sollte, habe er sich im Flughafen die Arme aufgeschnitten. So sei er seiner Abschiebung entgangen. In Deutschland lebe er größtenteils von Schwarzarbeit, eine reguläre Stelle sei ohne den richtigen Pass nur schwer zu finden. Durch die Schlafplatzorga habe er Hilfe und einen Wohnsitz gefunden. »Auf der Straße gibt es kein Leben. Wenn du keinen Schlafplatz hast, fühlst du dich negativ«, sagt er.

Hani hilft an diesem Abend beim Kochen. Er sagt, die »Küche für alle« sei ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen und einander zuhören könnten. Doch die zweimal im Monat stattfindenden Kochabende haben auch einen finanziellen Zweck. Mit den Spenden, die die Schlafplatzorga an den Abenden sammelt, kann sie den Suchenden Tickets für den öffentlichen Nahverkehr und manchmal sogar kurzzeitig anfallende Mietkosten finanzieren. Außerdem werden beim gemeinsamen Abendessen Menschen gefunden, die einen Schlafplatz zur Verfügung stellen können.

Etwa eine Woche später haben sich ungefähr ein Dutzend Menschen in einem Büroraum in einem Berliner Innenstadtbezirk zusammengefunden. Die meisten von ihnen sind nach Deutschland geflüchtet. Auch Hani ist gekommen, doch um ihn geht es an diesem Tag nicht. Anders als die meisten anderen Anwesenden weiß er, wo er schlafen wird. Eine Vermittlerin der Schlafplatzorga betritt den Raum, es bildet sich eine kleine Menschentraube um sie. Sie ruft Freiwillige an, die vielleicht einen Schlafplatz anbieten könnten. Nur wenige gehen ans Telefon, und wenn jemand antwortet, gibt es meist eine Absage. Am Ende des Abends konnten nur drei Personen vermittelt werden, die übrigen Suchenden müssen sich anderweitig um einen Schlafplatz kümmern oder werden an die Kältehilfe verwiesen.

Dass nur wenige Suchende vermittelt werden können, ist üblich. Der Schlafplatzorga zufolge liegt das vor allem daran, dass es immer an angebotenen Schlafplätzen mangelt. Ein Problem sei auch, dass die Freiwilligen vor allem dem eher prekären studentischen Milieu angehörten, selbst also meist wenig Geld und wenig Platz zur Verfügung hätten. Auch trügen sich nur wenige Menschen auf den Listen der Schlafplatzorga ein. Für viele sei es schlichtweg keine Option, fremde Menschen in ihrer Wohnung übernachten zu lassen, sei es wegen mangelnden Wohnraums oder persönlicher Befürch­tungen.

Viele Geflüchtete, die die Hilfe der Schlafplatzorga in Anspruch nehmen, sind nicht in Berlin, sondern in anderen Bundesländern oder gar in anderen EU-Staaten gemeldet, wo es oftmals schwierig ist, Arbeit oder eine angemessene Unterkunft zu finden. Es gebe zwar Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte in Brandenburg, in denen Geflüchtete unterkommen können, vor allem die Erstaufnahmeeinrichtungen seien aber so schlecht gelegen, dass es schwierig sei, Arbeit zu finden, ohne weite Strecken zurücklegen zu müssen, sagt Nelly von der Schlafplatzorga. Um von einem Ort zum anderen zu pendeln, fehle vielen Flüchtlingen schlicht das Geld. Deswegen kämen viele von ihnen nach Berlin, wo es oftmals leichter sei, eine Arbeit zu finden. Aber auch dort sei ihre Situation prekär. Wegen des Mangels an bezahlbarem Wohnraum sei es schwierig, eine feste und bezahlbare Bleibe zu finden. Wohnheime gebe es zwar, doch diese seien oft voll und viele Menschen fühlten sich dort unwohl. Geflüchtete, die nach einer Wohnung suchen, erhalten zudem häufig keinen Wohnberechtigungsschein. Dieser ist in Berlin in der Regel Voraussetzung, um eine Sozialwohnung beziehen zu dürfen. Im Oktober kritisierte der Berliner Flüchtlingsrat in einer Pressemitteilung, dass »in Berlin vor allem dauerhaft bleibeberechtigte Familien mit Kindern wegen der häufig unterschiedlichen Taktung ihrer Aufenthaltstitel in vielen Fällen keinen Wohnberechtigsungsschein erhalten«.

Die Schlafplatzvermittlung in Berlin ist nicht die einzige hierzulande. In Frankfurt am Main vermittelt die Gruppe »Project Shelter« Schlafplätze an Flüchtlinge und hilft ihnen bei finanziellen Problemen sowie behördlichen Angelegenheiten. Der Gruppe aus Menschen mit Fluchterfahrung und solchen ohne geht es nach eigenen Angaben aber »um weit mehr als nur Obdach und Unterkunft«. Das »mittelfristige Ziel« bestehe darin, »ein selbstverwaltetes migrantisches Zentrum in Frankfurt am Main zu eröffnen«, heißt es auf der Website der Gruppe. Bisher gelang es ihr, durch eine Besetzung die Zwischennutzung eines Raumes in der Stadt zu ermöglichen. 2017 musste die Gruppe ihn wegen des Eigennutzungsanspruchs des Besitzers allerdings wieder räumen. Für ein selbstverwaltetes Zentrum fehlt bislang die Unterstützung der Stadtverwaltung und des Landes.

Nelly wünscht sich, dass Gruppen wie die Schlafplatzorga überflüssig werden. Weil es kein durch das Grundgesetz garantiertes Recht auf Wohnen gebe und es an staatlicher Unterstützung mangele, sei deren Arbeit derzeit aber schlicht notwendig.