Im Prozess gegen die Partei Chrysi Avgi haben die griechischen Neonazis in der Staatsanwältin ihre beste Verteidigerin

Vergoldet durch die Staatsanwältin

Sind Neonazis eine Gefahr? Die griechische Justiz ist sich da nicht so sicher. Am 8. Januar stand in Athen der nächste Prozesstag im Verfahren gegen die neonazistische Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) an. In dem Prozess geht es darum, ob die Partei, die seit den Wahlen im Juli 2019 nicht mehr im  griechischen Parlament vertreten ist, eine kriminelle Vereinigung darstellt. Die Anwälte der Nebenklage hielten ihre Plädoyers, das Ergebnis des Verhandlungstags war bis Redaktionsschluss nicht bekannt. Es steht viel auf dem Spiel, denn ausgerechnet die Staatsanwaltschaft, vertreten durch die Staatsanwältin Adamantia Oikonomou, verlangte in ihrem Strafantrag am 18. Dezember einen Freispruch ­beziehungsweise die Einstellung des Hauptverfahrens gegen alle Angeklagten bis auf einen.

Sämtliche Beobachter in Athen sind sich einig, dass die Anwälte der Angeklagten kein besseres Plädoyer als das der Staatsanwältin hätten halten können. Oikonomous Darstellung zufolge erstach Georgios Roupakias, ein Mitglied von Chrysi Avgi, am 18. September 2013 den antifaschistischen Rapper und Hafenarbeiter Pavlos Fyssas aus persönlichen Motiven. Nach ihrer ­Ansicht wollte sich Roupakias mit seiner Tat bei anderen Parteimitgliedern und den Parteioberen profilieren. Zudem behauptet die Staatsanwältin, dass der Mord der Partei nicht genützt habe und daher kaum von ihr beabsichtigt gewesen sein könne. Die Annahme, dass es sich bei Roupakias um einen Einzeltäter gehandelt habe, würdigt eine wichtige Tatsache nicht. Gleichzeitig mit dem nach der Tat festgenommenen mutmaßlichen Mörder war ein Stoßtrupp der Partei zu nächtlicher Stunde am Tatort in der Athener Vorstadt Keratsini anwesend. Oikonomou nimmt an, dies sei ein ­Zufall gewesen, und hält die Zeugenaussagen von Aussteigern der Partei ebenso wie die Aussagen der Begleiter Fyssas’ für unglaubwürdig. Sie folgte in ­ihrem Plädoyer fast wörtlich den Aussagen und der Argumentation der Parteiführung von Chrysi Avgi.


Dass der Stoßtrupp der Partei bei der Ermordung Fyssas’ telefonisch und per SMS zum Tatort gerufen worden sei, habe einem anderen Zweck gedient, behauptet Oikonomou. Dass selbst der Parteiführer und -gründer Nikolaos Michaloliakos in seiner Aussage keinen anderen plausiblen Zweck des nächt­lichen Stelldicheins angeben konnte, focht die Vertreterin der Anklage nicht an.

Oikonomou argumentierte zudem, dass die Mitglieder eines Stoßtrupps der Partei, der 2012 ägyptische Fischer in ihrer Wohnung in Piräus überfallen und mit lebensgefährlichen Verletzungen zurückgelassen hatte, nicht wegen versuchten Mordes zu verurteilen seien, weil die ­Opfer schließlich überlebt hätten.

Des Weiteren folgerte die Staatsanwältin, dass auch ein von der Partei organisierter Überfall, bei dem am 12. September 2013 Neonazis zum Teil mit nagelgespickten Baseballschlägern auf Mitglieder der kommunistischen Gewerkschaft PAME in Perama einschlugen, nicht als gefährliche Körperverletzung zu werten sei. Dass bei dem Anschlag sogar das Blech der PKW der Gewerkschafter durchlöchert wurde, zeugt der Staatsanwältin zufolge nicht von übermäßiger Gewalt. »Es kann keine Tötungsabsicht der Angeklagten erkannt werden«, referierte Oikonomou, »denn niemand hinderte sie daran, tatsächlich zu töten. Wenn man jemanden töten möchte, dann geht das in ­wenigen Sekunden.« Denn, so Oikonomou, die Täter »hatten Knüppel und andere Waffen und konnten damit, wenn sie es gewollt hätten, ihre Opfer töten, aber sie haben es nicht getan«. Der Staatsanwältin ist offenbar entgangen, dass die Opfer wegen ihrer Verletzungen tatsächlich in Lebensgefahr geschwebt hatten. Andererseits scheint sie sich ziemlich intensiv mit der Art einzelner Verletzungen beschäftigt zu haben, um Aussagen über die Schlagtechnik der Täter zu treffen. Sie sagte, dass der Vorsitzende der Gewerkschaft PAME, Sotiris Poulikogiannis, von der stumpfen Seite eines Knüppels getroffen worden sei. Am anderen Ende des Knüppels sei eine scharfe Klinge be­festigt gewesen, bemerkte Oikonomou. »Wenn sie ihn hätten töten wollen, hätten sie mit der scharfen Klinge zugeschlagen.«

Für Oikonomou ist selbst ein Textbeitrag des Pressesprechers von Chrysi Avgi, Ilia Kasidiaris, in der gleichnamigen Parteizeitung über Adolf Hitler kein Beleg für eine nationalsozialistische Gesinnung. Die Tatsache, dass der ­Artikel Hitler mehr als wohlwollend darstellt, zählt für die Staatsanwältin nicht als Verherrlichung des Nationalsozialismus, sondern als historische ­Betrachtung.

Richter und Staatsanwälte zu kritisieren, gilt in Griechenland als Tabu. ­Regelmäßig gehen die Justizvertreter mit scharfen Worten gegen Kritiker vor. Schließlich, so heißt es, werde durch Kritik an der Justiz deren demokratisch garantierte Unabhängigkeit gefährdet. Die Einlassungen Oikonomous belegen die Fehlentwicklungen, die eine solche Aversion gegen jegliche Kritik fördert.

Oikonomou hatte in einem Prozess gegen den Anarchisten Tasos Theofilou als Beweismittel für dessen angebliche Beteiligung an einem Banküberfall auf der Insel Paros 2012 einen Rucksack mit dem Aufdruck »I love Paros« gewertet. Theofilous Alibi, das belegte, dass er sich zum Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Tat Hunderte Kilometer entfernt auf dem Festland befand, ließ sie nicht gelten. Sie unterstellte Theofilou unerlaubten Waffenbesitz, weil er aus einer Gegend stammt, in der im Zweiten Weltkrieg der Widerstand gegen die Nazibesatzung besonders ausgeprägt war. Theofilou saß wegen des Fehlurteils fünf Jahre lang unschuldig in Hochsicherheitstrakten in Haft und wurde im August 2018 in letzter Instanz vom Areopag, dem obersten Gericht Griechenlands, freigesprochen. Er erstritt sich gerichtlich eine Entschädigung für 59 Monate Haft.

Bei den Parteioberen von Chrysi Avgi sieht dieselbe Staatsanwältin den durch Funde bei Hausdurchsuchungen bewiesenen unerlaubten Waffenbesitz mit anderen Augen. Die Angeklagten, argumentiert sie, hätten sich der Waffen entledigen können, bevor sie gefunden worden seien; deshalb handele es sich lediglich um Sammlerstücke. Da verwundert es in diesem Zusammenhang kaum, dass Oikonomou die rassistisch motivierten Armenspeisungen der Partei »nur für Griechen« bereits während der Beweisaufnahme mit den Worten kommentierte: »Immerhin haben sie Griechen was zu essen gegeben.«

Ein Großteil der Anklage gegen Chrysi Avgi beruht auf dem Vorwurf, die Partei werde nach dem Führer­prinzip verwaltet. Um dies zu belegen, wurde als Beweisstück das Parteistatut aus den Gründungsjahren Anfang der Neunziger vorgelegt. Dieses war im Besitz des investigativen Journalisten Dimitris Psaras, der es sich bei der Partei selbst bestellt hatte, und dies durch Briefumschläge und Stempel ­belegen konnte. In ihrem Plädoyer behauptete Oikonomou dennoch, Psaras könne die Herkunft des Schriftstücks nicht erklären.

Die Staatsanwältin hat mit ihrem Plädoyer auch die Arbeit ihrer Kolleginnen und Kollegen entwertet, die Hunderte Akten, Videos und Tondokumente sichteten und daraus die Anklageschrift formulierten. Das Gericht muss dem Antrag der Staatsanwältin nicht folgen. Doch käme es dazu, würde Chrysi Avgi nachträglich einige Millionen Euro Parteifinanzierung erhalten. Diese wurden der Partei wegen der Anklage als »verbrecherische Organisation« vorenthalten. Ein Urteil im Prozess wird im Frühjahr ­erwartet.