Ein Gespräch mit Christina Dinar über digitale Gewalt gegen Frauen

»Die Taten werden sichtbar«

Interview Von

Angriffe auf Frauen im Internet reichen von sexistischen Pöbeleien und Beschimpfungen über die Veröffentlichung privater Bilder und Daten bis hin zu Vergewaltigungs- und Morddrohungen. Wie unterscheiden sich diese Angriffe im virtuellen Raum von den analogen?

Die Digitalisierung ermöglicht zunächst einmal eine erhöhte Sichtbarkeit von Gewalt im öffentlichen, digitalen Raum. Angriffe können besser dokumentiert werden. Das ist geschehen im Fall der sogenannten Spannervideos, wo die Recherche über diese nichtkonsensual entstandenen Bilder einer großen Öffentlichkeit zugänglich wurde. Und darin besteht auch der Unterschied. Die Taten werden plötzlich sichtbar. Die Statistiken besagen, dass jede dritte Frau in der EU Gewalterfahrungen gemacht hat. Vermutlich kann man diese Statistik auch auf den digitalen Raum übertragen. Dazu gibt es aber wenige Zahlen und Erhebungen. Die digitalen und analogen Bedrohungsszenarien sind spiegelbildlich zu betrachten. Alles, was es an Hass und Vorurteilen gibt, findet man in beiden Sphären.

In vielen Fällen zeigen Frauen Straftaten gegen sie gar nicht erst an. Gilt das auch für den digitalen Raum?

Die jungen Mädchen und Frauen mit denen ich arbeite, die mit diesen digitalen Sphären aufgewachsen sind, se­parieren das Digitale und Analoge gar nicht so stark. Sie alle machen Erfahrungen in den Bereichen Cybermobbing und Cyberbullying. Und genau da beginnt eine Gesprächskultur, wo Herabsetzung normal ist. In vielen sozialen Medien, in 4chan, Gamercommunities oder Schulchats gibt es eine misogyne Gesprächskultur, mit der die jungen Frauen aufwachsen und die sie teilweise für normal halten. Daher ist es auch gut, wenn Fälle wie beispielsweise der von Renate Künast öffentlich werden, weil man damit eine Sensibilisierung beginnen kann.

Wie äußert sich digitales Mobbing?

In den allermeisten Schulen, in denen ich gearbeitet habe, kommen solche Fälle vor. Da landen Fotos von jungen Frauen und Mädchen im Schulchat oder auf den Bildschirmschonern im Informatikraum.

In Deutschland soll es bald eine Gesetzesänderung gegen das sogenannte »Upskirting« und »Downblousing« geben. Bislang war das ungefragte Fotografieren unter den Rock oder in den Ausschnitt eine Ordnungswidrigkeit, nun soll es strafbar werden. Ist das ein Schritt in Richtung Sensibilisierung?

Das sind ja alles Rechtsgrundlagen. Die Frage ist aber auch, ob man mit jungen Menschen bespricht, welche Formen von Gewalt es gibt. Zum Beispiel wenn Videos und Bilder von mir ver­öffentlicht werden, denen ich nicht zugestimmt habe. Was wir sozial verhandeln über den Umgang miteinander, bildet sich nicht nur in Rechtsnormen ab. Nur weil es neue Gesetze für diese Phänomene gibt, heißt das noch nicht, dass dadurch eine Sensibilisierung stattfindet. Die Rechtslage kann durchaus verbessert werden, aber das ist nicht die Lösung des Problems. Im Präventivbereich muss mehr gemacht werden, da passiert noch zu wenig.

»Es gibt es eine misogyne Gesprächskultur, mit der die jungen Frauen aufwachsen.«

Im Fall der sogenannten Spanner­videos wird Frauen zur Prävention geraten, sie sollen nach kleinen ­Löchern in der Wand suchen oder die Sauna nur noch am Frauentag be­suchen. Ist das praktikabel?

Sich über solche Dinge Gedanken zu machen, ist natürlich nicht schlecht. In bestimmten Situationen hat man vielleicht eine Vermutung, der man dann nachgehen sollte. Auch die Festivalbetreiber sind da in der Verantwortung. Aber insgesamt sind solche Vorschläge recht alarmistisch. Man darf den öffentlichen Raum nicht frei machen für eine hegemoniale männliche Kultur, aus der Frauen ausgeschlossen sind. Wir brauchen vielmehr geschützte Räume für alle.

Der Datenschutzbeauftragte von Mecklenburg-Vorpommern sagte kürzlich, dass Minikameras grundsätzlich nicht datenschutzkonform zu betreiben sind.

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, das solche Produkte prüft, könnte solche Spyware natürlich verbieten oder gar nicht erst ­zulassen. Aber es geht ja nicht um eine DIN-Norm, sondern um eine gesellschaftliche Norm.

Es gab 2018 eine Kleine Anfrage der Linkspartei an die Bundesregierung zum Thema digitale Gewalt gegen Frauen. In der Antwort zeigte sich mangelnde Sachkenntnis und das Fehlen empirischer Daten. Weshalb dauert es so lange, bis das Problem in der Politik ankommt?

Das ist wirklich sehr zäh. Diese Anfrage wurde von Leuten formuliert, die schon sehr lange in diesem Bereich aktiv sind. Wenn es solche Pionierinnen oder Organisationen nicht gibt, die die Themen forcieren und Druck machen, dann passiert auch nichts.

Kann es dann überhaupt eine Veränderung der Kultur geben?

Ich denke, es muss eine viel engere Zusammenarbeit zwischen den Platt­formen und Communities geben. Wenn diese gemeinsam transparente Regeln aushandelten, hätten wir ein anderes kommunikatives Miteinander, in dem Frauenfeindlichkeit kein Standard ist. Die Leute, die Inhalte lesen, gestalten und konsumieren, sollten mehr darüber entscheiden. Dann wird vielleicht eher ein digitaler Sozialarbeiter als ein neues Gesetz benötigt.