Die Beschäftigten der Sharing-Plattformen arbeiten unter schlechten Bedingungen

Geteiltes Leid

Je mehr Menschen teilen, desto mehr Wohlstand gibt es für alle – sollte man meinen. Aber gilt das auch für die Lohnarbeit in der sogenannten Sharing Economy? Während das alltägliche Arbeitsleben bereits hohe Risiken birgt, gefährdet die Coronakrise die Existenz der Beschäftigten.

Roller, Rad, Werkzeug oder Wohnungen – alles kann in deutschen Großstädten gemietet oder »geteilt« werden. Nach dem Muster der Carsharing-Unternehmen boomten in den vergangen beiden Jahren vor allem die Sharing-Angebote für kleinere Transportmittel. Doch seit einigen Wochen sind die Straßen leerer geworden. Mit der von der Bundesregierung verordneten Kontaktsperre und der Angst vor Ansteckung ist auch hier die Nachfrage stark zurückgegangen.

Das US-amerikanische Unternehmen Lime hat in Berlin vorsorglich all seine Roller eingesammelt und begründet diesen Schritt mit der Sorge um die ­Gesundheit und das Wohlergehen der Menschen. Das Wohlergehen der freiberuflichen Roller-Einsammler lag dem Unternehmen bislang weniger am Herzen. Vor Weihnachten teilte Lime ihnen via E-Mail mit, dass das Unternehmen die Zusammenarbeit innerhalb von 14 Tagen aufkündigt. Lime wollte das »Juicen«, also das Einsammeln und Aufladen der Roller, ab dem Frühling outsourcen. Dazu kam es nun nicht mehr.

Beim Geschäft mit dem Teilen gibt es in der Regel keine Angestellten.

Anders als in vielen anderen Branchen gibt es beim Geschäft mit dem Teilen in der Regel keine Angestellten. Die Sharing Economy hat den Arbeitsbegriff verändert, die Grenzen zwischen privater Hilfe, Schwarzarbeit und pre­kärem Job verschwimmen. Menschen, die ihr Auto, ihre Wohnung oder ihr Werkzeug freiwillig teilen und dafür eine kleinen monetäre Anerkennung ­erhalten, sind schließlich keine Arbeiter. Sie organisieren sich über digitale Plattformen. Fast ohne Kosten können die Unternehmen, die die Plattformen betrieben, daher Standorte verlagern, schließen oder neu eröffnen. Unter der Voraussetzung, dass Arbeitskraft billig zu haben ist, können sie praktisch überall dort agieren, wo es Nachfrage nach ihrem Produkt oder ihrer Dienstleistung gibt. Sinkt die Nachfrage, so wie derzeit, kann das Unternehmen innerhalb kürzester Zeit reagieren.

Oliver Suchy leitet die Abteilung ­»Digitale Arbeitswelten und Arbeitsweltberichterstattung« des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Er beschreibt im Gespräch mit der Jungle World die Arbeitsbedingungen der Branche: »Das Hauptmerkmal ist, dass viele Plattformanbieter ihre Leute als ›Solo-Selbständige‹ halten, obwohl sie es gar nicht sind. Da gibt es digitale Steuerungssysteme, die oft wie Weisungen wirken; dazu algorithmische Kontroll- und Bewertungssysteme. Freier Marktzugang oder freie Preisgestaltung gibt es hier nicht. Im Bereich von gig work, also ortsgebundenen Dienstleistungen, haben aber viele ihr Geschäftsmodell durch den Druck inzwischen geändert und stellen die Leute an – allerdings auch prekär, in der Regel befristet und zu Minilöhnen.«

Die Arbeitsbedingungen und Dienstleistungen der Sharing Economy sind sehr vielfältig: Die Bandbreite reicht von Menschen, die gelegentlich oder nebenberuflich von zu Hause arbeiten oder mit ihrem Auto Fahrgäste chauffieren, bis hin zu Unternehmen verschiedenster Größen, die Plattformen als zusätzlichen oder einzigen Vertriebsweg nutzen. Eine unmittelbare Kon­sequenz dieser Arbeitsorganisation ist, dass es so gut wie keine Festanstellungen gibt. Damit fehlen den Sharing-Arbeitskräften die Arbeitnehmerrechte, die in vielen Ländern an die Festanstellung geknüpft sind: Für angestellte Arbeitskräfte gelten Mindestlohn, Arbeitszeitregelungen und Kündigungsschutz, in vielen Fällen auch Tarifverträge. Sie haben Anspruch auf regelmäßige Lohnzahlungen, Urlaub, Elternzeit, Überstundenausgleich und Absicherung bei Arbeitsunfällen. Andere Richtlinien regeln Gesundheitsvorsorge und Sicherheit am Arbeitsplatz. Auch von Mitbestimmungs- und Partizipationsrechten können Angestellte leichter Gebrauch machen. Sie können häufig auch freiwillige Leistungen des Arbeitgebers wie Weiterbildungs- und ­Trainingsmaßnahmen in Anspruch nehmen.

Gerade in Krisensituationen gewinnt die arbeitsrechtliche Absicherung an Gewicht. Kleinverdiener, die sich selbst ausbeuten, indem sie ihre Zeit als ­Selbständige billig in den Dienst großer Sharing-Unternehmen stellen, gehen ein hohes finanzielles, soziales und gesundheitliches Risiko ein – während diese großen Firmen ihre Gewinne nicht im Mindesten teilen und auch keine Rücksicht auf Angestellte nehmen. »Es geht nicht um ›sharing‹ im Sinne von teilen«, sagt Suchy. »Große Banken und IT-Konzerne investieren irrsinnig viel Geld, um ganze Märkte aufzumischen. Das wird dann Disruption genannt. Die Folge sind Häppchenarbeit auf Abruf zu schlechteren Bedingungen und digitale Überwachung. Natürlich kann Crowdsourcing auch genutzt werden, um Innovationen und Kollaboration zu fördern.«

Im Falle von Uber und Lyft setzen sich die Fahrer dieser Tage notgedrungen ­einem hohen Gesundheitsrisiko aus. Während die Firmen selbst social distancing empfehlen, können es sich viele Fahrer selbst im Krankheitsfall nicht oder nur schwer leisten, zu Hause zu bleiben, denn als Selbständige haben sie dann keinen Anspruch auf Bezahlung. Es besteht deshalb eine große Gefahr, dass Menschen auch krank zur Arbeit gehen. Die Juraprofessorin Veena Dubal von der University of California berichtet im britischen Guardian über die Ausbeutung, der insbesondere die Ärmsten und Schutzlosesten in der Sharing Economy ausgesetzt seien. Tatsächlich zieht dieser Bereich gering qualifizierte Menschen und Migranten an, weil sie hier sofort arbeiten können.

Um in den USA für Uber fahren zu können, benötigt man nur einen Führerschein. In Deutschland hingegen ist ein Personenbeförderungsschein erforderlich. Auf der Internetseite von Uber Deutschland gibt das Unternehmen nun an: Sollte ein selbständiger Partner-Fahrer mit Covid-19 infiziert sein oder von einer Gesundheitsbehörde individuell zur Selbstisolation aufgefordert werden, erhält er während der Sperrung seines Kontos bis zu 14 Tage finanzielle Unterstützung von Uber. Was das bedeutet und wie hoch die finanzielle Unterstützung ist, teilt Uber nicht mit.

In den USA ist von einer Kompensation bislang nicht die Rede. Dubal berichtet im Guardian über den Fall des Fahrers Ahmed. Er habe vier Kinder im Alter zwischen elf und drei Jahren und lebe mit ihnen, seiner Frau und seinen Eltern in San Francisco. »Um sie alle zu ernähren, fährt er über 60 Stunden in der Woche.Würde er nun zu Hause bleiben, hätte er kein Einkommen. Seine Rücklagen belaufen sich auf 57 Cent. Also muss er weiterhin fahren.«

Bis auf weiteres eingestellt hat Uber die Vermietung von Elektrorollern und E-Bikes in Berlin und München. Man könne die Lenker der Räder und Roller nicht ständig desinfizieren, gibt das Unternehmen an, und wolle einen Beitrag dazu leisten, dass sich das Virus nicht verbreite. Der Grund kann aber auch sein, dass die Wartung und das Aufladen der Fahrzeuge personalintensiv sind und sich die Vermietung wegen der geringen Nachfrage nicht mehr lohnt.

Auch Suchy geht davon aus, dass die Firmen nicht aus Solidarität handeln. »Der US-Anbieter Lime hatte offenbar trotz der Investments von Google schon vor der Coronakrise Probleme«, sagt er. Es zeige sich an diesem Beispiel aber, wie anfällig solche Geschäftsmodelle seien. »Es fehlen ja jetzt nicht nur Kundinnen. Es trägt offensichtlich nicht, auf sogenannte Selbständige aus dem Netz zu setzen, die sich um die Scooter kümmern und mit Hungerlöhnen abgespeist werden. Die Zeit sollte nun dazu genutzt werden, Regeln für anständige Arbeitsbedingungen bei solchen plattform­basierten Tätigkeiten aufzustellen, damit ›Juicer‹ und andere, die harte Arbeit leisten, künftig nicht mehr ausgepresst werden«, sagt der Gewerkschafter der Jungle World.

Einer Yougov-Umfrage zufolge waren Sharing-Angebote im vergangenen Jahr vor allem in den Bereichen Mobi­lität und Reisen beliebt. Da die Coronakrise sich in genau diesen Bereichen besonders stark auswirkt, heißt das nichts Gutes für die Arbeitsbedingungen. Wer die Regeln für garantierte ­Arbeitsbedingungen verhandeln soll, ist unklar. Der gewerkschaftliche Or­ganisationsgrad in der Gig Economy ist ohnehin gering. Die Gewerkschaft ­Verdi hofft daher auf staatliche Regulierung. »Helfen würde zum Beispiel eine Umkehrung der Beweislast«, sagte der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke. »Dazu müsste grundsätzlich unterstellt werden, dass derartige Plattformen ­sozialversicherungspflichtige Beschäftigung anbieten.«