In Nordirland hat die Coronakrise die politischen Konflikte nicht verschärft

Wichtigeres als Nationalismus

Die Coronakrise dämpft in Nordirland die politischen Konflikte.
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Nordirland ist auf das neuartige Coronavirus vorbereitet. Für den Fall eines »No-deal Brexit« wurde im vorigen Jahr ein großer Vorrat an Atemschutzmasken angelegt, heißt es aus dem regionalen Gesundheitsministerium. Die Botschaft lautet: Wir können auch größere Katastrophen bewältigen. Wie überall bemühen sich die politisch Verantwortlichen in der Krisenkommunikation, die Einheit der Gesellschaft zu beschwören.

Während der französische Präsident Emmanuel Macron die citoyens zum »Krieg« gegen einen »unsichtbaren Feind« aufruft und man in Deutschland von der »größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg« spricht, wird das Ausmaß der Pandemie in Nordirland an dem der Bürgerkriegsunruhen gemessen, die das Land bis zum Karfreitagsabkommen von 1998 prägten. »Ernüchternde« Statistiken gingen von einer Todeszahl aus, die knapp unter den 3 500 Opfern des Nordirland-Konflikts, der sogenannten Troubles, liegt, sagte die Leiterin der Regionalregierung Arlene Foster von der Demokratischen Unionistischen Partei (DUP) Anfang April. Gesundheitsminister Robin Swann ist in Gedanken »besonders bei denjenigen, die durch dieses Virus geliebte Menschen verloren haben«, und klingt dabei, als kondoliere er nach einem Terroranschlag der IRA.

In den Reaktionen der vergangenen Wochen lässt sich die Geschichte des Landes im Schnelldurchlauf erleben. Führten unabgestimmte Maßnahmen Mitte März noch zu chaotischen Szenen an der inneririschen Grenze und politischen Anschuldigungen der irisch-nationalistischen Partei Sinn Féin an die unionistische Regionalregierung, so heißt es nun, beide Seiten bekämpften einen gemeinsamen Feind und jenseits von religiösen und politischen Konflikten entstehe ein neuer Gemeinschaftsgeist. »Es geht jetzt um ­etwas Wichtigeres als Britishness oder Irishness, Unionismus oder Nationalismus, orange oder grün – darum geht es jetzt nicht«, betonte Foster.

Die erste diagnostizierte Covid-19-Infektion in Nordirland hatte eine Person, die aus Norditalien per Flug nach Dublin auf die Insel zurückgekehrt und von dort nach Nordirland weitergereist war. Das verdeutlicht die Wichtigkeit grenzüberschreitender Kooperation. Dass der Fall die nordirische Bevölkerung nicht polarisiert, stimmt optimistisch. In den Zeitungen des Landes wird stattdessen wieder über die Modalitäten des EU-Austritts diskutiert. Einige Kommen­tatoren empfehlen Premierminister Boris Johnson ein ­social distanc­ing vom »Brexit«.

Ob die Karten angesichts der Coronakrise aber tatsächlich noch einmal neu gemischt werden, ist fraglich. Diese passt in die Deutungsraster von Gegnern wie Befürwortern des EU-Austritts. Ist sie ein Argument für die dringende Notwendigkeit intereuropäischer Kooperation und die Synchronisierung der politischen Entscheidungsabläufe oder ein Beleg dafür, dass die Politik im Ernstfall auf den nationalstaatlichen Rahmen zurückgeworfen ist? Angesichts einer kommenden Rezession sollten mit dem EU-Austritt nicht noch mehr ökonomische Verwerfungen und Ungewissheiten in Kauf genommen werden, sagen die einen. Angesichts der wirtschaftlichen Umstrukturierung und der staatlichen Konjunkturprogramme in­folge der Pandemie ist der EU-Austritt ohnehin nebensächlich, erwidern die anderen.

Doch auch die EU wird nach der Pandemie eine andere sein. Geht sie aus der Krise geschwächt hervor, dürfte das zu einer Neubewertung der britischen EU-Austrittsstrategie führen. Und an Coronabonds für besonders schwer getroffene Länder wird sich wohl keine britische Regierung beteiligen.