Wie China die Epidemie mit Überwachung bekämpft

Etappensieg im digitalisierten Volkskrieg

China verfolgt bei der Eindämmung von Covid-19-Infektionen eine komplexe Strategie. In dieser sind die von vielen westlichen Virologen zunächst als »mittelalterliche Maßnahme« kritisierten Abriegelungen nur eine Komponente.

Seit einigen Wochen ist die Frage nach dem Ausgangsort der Covid-19-Pandemie ein globales Politikum. Die Debatte über die Chronologie der Ereignisse ist Teil eines Propagandakriegs zwischen den Regierungen der USA und Chinas. Erst am 20. Januar erkannte die chinesische Regierung offiziell an, dass das neuartige Virus Sars-CoV-2 von Mensch zu Mensch übertragbar ist. Unbestritten ist, dass die chinesische Zentralregierung dann radikale Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie eingeleitet hat.

Die Abriegelung von Wuhan am 23. Januar verlief zunächst chaotisch. Der Bahn-, Bus- und Flugverkehr wurden eingestellt und die Autobahnen, die in die Metropole mit elf Millionen Einwohner führen, gesperrt. Schätzungen zufolge sollen kurz zuvor noch 300 000 Menschen die Stadt mit dem Zug verlassen haben. Tausende konnten mutmaßlich noch im Auto fliehen, bevor die Maßnahmen in Kraft traten. Hamsterkäufe, Mangel an medizinischem Schutzmaterial und Massenanstürme auf Krankenhäuser prägten die Lage. Berichte häuften sich, dass Hilfslieferungen von Nahrungsmitteln und medizinischen Materialien aus anderen Provinzen nicht bei den Betroffenen ankamen. Der Unmut der Bevölkerung über die Behörden in Wuhan breitete sich in den sozialen Medien aus, was wiederum die Zentralregierung zum Handeln zwang.

Armee und Partei machen mobil
Anknüpfend an Traditionen der Katastropheninterventionen der Mao-Ära (1949 bis 1976) spielte die Volksbefreiungsarmee bei der folgenden Massenmobilisierung eine wichtige Rolle. Präsident Xi Jinping befahl als Oberbefehlshaber den Logistikabteilungen der Armee die Errichtung eines provisorischen Krankenhauses in Wuhan, das diese in nur zehn Tagen fertigstellten. Um die Versorgung der Krankenhäuser sowie der Bevölkerung zu gewährleisten, erhielt die Armee die Vollmacht, die Hilfslieferungen zu verteilen. Außerdem entsandte man mehr als 1 400 Armeeärzte und Fachleute.

Mediziner der Armee haben besondere Fachkompetenz auf den Gebieten der Virologie und Epidemiologie, weil sie sich in anderen Ländern an der Bekämpfung von Epidemien beteiligt, aber auch, weil sie an biologischer Kriegsführung geforscht haben. Insgesamt sollen in einem Zeitraum von zwei Monaten über 60 000 Ärzte nach Wuhan geschickt worden sein. Einige von ihnen meldeten sich freiwillig, andere wurden zwangsverpflichtet. Zusätzlich wurden in kurzer Zeit große Kapazitäten zum Nachweis von Covid-19-Infektionen aufgebaut.

Da sich die Epidemie auch über Wuhan hinaus in angrenzende Provinzen verbreitete, ließ die Regierung ganze Städte abriegeln. Insgesamt sollen über 230 Millionen Stadtbewohner von Ausgangssperren betroffen gewesen sein. Während der Unterricht an Schulen und Universitäten in einigen Gegenden bis heute nur online stattfindet, begannen viele Industriebetriebe schon ab Mitte Februar wieder mit der Produktion. Auch die Supermärkte blieben in der Regel geöffnet.

Wer heute im urbanen China kein Smartphone besitzt, ist von wesentlichen Bereichen der Gesellschaft ausgeschlossen.

Für die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln während der Ausgangssperre spielten private Lieferdienste eine wichtige Rolle. Schon vor der Krise brachten auf Bestellung per App Heerscharen von Lieferanten auf E-Rollern wohlhabenderen Stadtbewohnern Essen. Über ländliche Migranten und Bauern berichteten die staatlichen Medien auffällig wenig. Auch in China bedeutete eine Ausgangssperre keinesfalls, dass alle Menschen zwei Monate lang zu Hause bleiben mussten und nicht arbeiten konnten beziehungsweise mussten.

Im städtischen China ist fast jeder Betrieb und jede Behörde, Schule oder Wohnanlage eine ummauerte gated community, in die man nur durch ein bewachtes Tor hineinkommt. Vor der Epidemie kontrollieren die Wächter an den meisten Toren selten oder gar nicht. Die Ausgangssperre ließ sich dank dieser Struktur jedoch äußert effizient durchsetzen. Zunächst wurden rationierte Ein- und Ausgangsgenehmigungen ausgestellt. Haushalte erhielten diese, damit ein Mitglied einkaufen konnte. An den Eingängen wurde Fieber gemessen.

Da weder die privaten Sicherheitsdienste, die sonst die Eingänge bewachen, noch die Nachbarschaftskomitees über genug Personal und Autorität verfügten, mobilisierte die KP-Führung in großem Stil Parteimitglieder. Schon seit 2013 ließ Xi ein sogenanntes Netzwerk-Management an der Parteibasis aufbauen, dessen Mitglieder ein Gehalt beziehen und zudem von Freiwilligen unterstützt werden. Sie sind als örtliche Ansprechpartner für eine bestimmte Anzahl von Wohnblocks zuständig und kommunizieren mit Bewohnern und Behörden auch per Smartphone-App.