Seit der Reform der Gebührenordnung bittet die Bundespolizei Bürger zur Kasse

Repression als Dienstleistung

Seit einem halben Jahr kann die Bundespolizei Betroffene ihrer Maßnahmen danach auch noch zur Kasse bitten. Dabei haben die mit ihren Steuergeldern ohnehin schon dafür bezahlt.

Seit kurzem sorgt eine Reform für Aufsehen, deren Ziel 2013 noch ganz harmlos klang: Mit einer Strukturreform wollte die damalige Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP das veraltete Gebührenrecht des Bundes vereinheitlichen. Waren die Gebühren zuvor noch in etwa 200 dezentralen Fachgesetzen und Fachverordnungen geregelt, hielt die Reform jedes Ministerium dazu an, diese Gebühren in jeweils einer einzigen »Besonderen Gebührenverordnung« zusammenzufassen.

Das von Horst Seehofer (CSU) geführte Bundesinnenministerium erließ wie vorgesehen als erstes Ressort seine Beson­dere Gebührenverordnung zum 1. Oktober 2019. Sie greift in insgesamt elf eher weniger bekannte Vorschriften ein. Vor allem eine Änderung im Bundespolizeigesetz hat es in sich.

Die »Besondere Gebührenverordnung für individuell zurechenbare öffentliche Leistungen« ermächtigt die Bundespolizei, ihre bereits steuerlich finanzierten Einsätze auch individuell abzurechnen. Ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags stützt die Annahme der Rechtmäßigkeit dieser doppelten Verrechnung.

Ein Polizeieinsatz müsse demnach nicht von der Allgemeinheit über Steuern getragen werden, sondern dürfe über eine Gebühr individuell verrechnet werden, sofern der zugrunde liegende Verstoß »vermeidbar« und »indivi­duell zuzurechnen« gewesen sei. Die Bundespolizei kassiert damit aber für ihre bereits finanzierten Leistungen nochmals ab.

Dass die mit deutscher Gründlichkeit bis auf den Cent-Betrag errechneten Preise der Bundespolizei nicht zuletzt der Volkserziehung dienen, bestätigte sogar ein Sprecher des Bundesinnenministeriums.

Doch was zählt als Verstoß? Kritiker befürchten, dass der seit Jahren tobende Streit zwischen kommerziellen Fußballveranstaltern und Landespolitikern – vor allen in Bremen – über die Erstattung von Polizeikosten bei sogenannten Risikospielen kurzerhand auf die Fans abgewälzt wird. So reicht es aus, dass ein Anhänger bei der Anreise zu einem Spiel »durch ein vorsätzliches oder fahrlässiges Erwecken des Anscheins einer Gefahrenlage« einen Einsatz der Bundespolizei auslöst. Noch vor jedem gerichtlichen Urteil könnte ihm die Bundespolizei die Fahrt zu einem Revier mit 15,69 Euro und den Gewahrsam mit 6,51 Euro pro angefangener Viertelstunde in Rechnung stellen, die Kosten für eine erkennungsdienstliche Maßnahme noch nicht eingerechnet.

Auch Demonstrierende dürften sich gut überlegen, ob sie noch ihr Versammlungsrecht wahrnehmen und einen zweiten Platzverweis für 52 Euro riskieren wollen, wenn der erste bereits 88,85 Euro kostet. Dafür könnte es bereits ausreichen, wenn ein Beamter der Meinung ist, man habe bei einer polizeilichen Maßnahme im Weg gestanden.

Dass die mit deutscher Gründlichkeit bis auf den Cent-Betrag errechneten Preise neben der Aufbesserung der Staatseinnahmen nicht zuletzt der Volkserziehung dienen, ­bestätigte sogar Björn Grünewälder, ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Die Gebühren sollen dem Einzelnen »seine individuelle Verantwortung für die Kosten der polizeilichen Maßnahmen verdeutlichen und – ja – auch künftiges Verhalten beeinflussen«, sagte er Mitte Februar im Rahmen der Bundespressekonferenz.

Oliver von Dobrowolski, der Vorsitzende der Berufsvereinigung »Polizeigrün«, bewertet die neue Gebührenverordnung im Gespräch mit der Jungle World als »äußerst kritisch«. Unter anderem befürchtet er ein repressives Auftreten der Bundespolizei gegenüber wohnungslosen Menschen auf Bahnhöfen. Diese könnten »wegen ihrer fehlenden wirtschaftlichen Potenz bei Nichtzahlung sogar Ersatzfreiheitsstrafen erhalten«. Bei der Deutschen Bahn dürften derartige »Säuberungen« von Bahnhöfen durch die Bundespolizei indes auf wenig Widerspruch stoßen.