Der Verfassungsschutz beobachtet das Institut für Staatspolitik

Ein Fall für den Geheimdienst

Der Verfassungsschutz beobachtet das Institut für Staatspolitik.
Notizen aus Neuschwabenland Von

Mit dem »Zeigen« ist es so eine Sache. Kürzlich twitterte der Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Bernhard Witthaut, über einen Fernsehkrimi: »Der heutige #Tatort zeigt, dass #Extremismus & #Rassismus leider in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Das Problem #Rechtsextremismus wird noch immer als ›männl.‹ Problem wahrgenommen. Doch auch Frauen können extrem sein!« »Zeigt« ließe sich auch als »führt exemplarisch vor« übersetzen. Die rechtsdrehenden Marktradikalen der Website »Tichys Einblick« finden dagegen, der Behördenleiter vermische Fakten und Fiktionen, und sind alarmiert. Das sollte man auch sein, allerdings eher, weil jahrzehntealte Banalitäten über Rassismus, Bürgerlichkeit oder weibliche Akteure als Erkenntnisse ­verkauft werden.

Die Reaktion bei »Tichys Einblick« entspricht einer Entwicklung in der gesamten Rechten. Unter großzügiger Auslegung der Fakten wird der Inlandsgeheimdienst gewissermaßen als verlängerter Arm der Antifa gesehen. Seit der Bewertung des »Flügels« der AfD als Beobachtungsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz haben solche Einschätzungen Konjunktur. Dabei musste Ende März sogar der Bundesvorstand der Partei selbst den AfD-Landesverband im Saarland auflösen, da dort Familienfilz und allzu enge Kontakte mit Neonazis zu offensichtlich waren (Jungle World 16/2020).

Als Verdachtsfall wird neuerdings auch das neurechte Institut für Staatspolitik in Schnellroda gewertet. Das ist nur konsequent, schließlich spielten Verbindungen zur Kaderschmiede des Verlegers Götz Kubitschek bereits bei der Bewertung des »Flügels« durch den Verfassungsschutz eine Rolle. Die Reaktionen auf die Nachricht bewegen sich im üblichen Rahmen. Benedikt Kaiser lässt sich auf dem hauseigenen Blog von Kubitscheks Zeitschrift Sezession über den Verfassungsschutz »als Schild und Schwert des Establishments gegen dessen politischen Gegner« aus. Allenfalls die Anspielung auf die Stasi überrascht, schließlich neigt Kaiser als Chemnitzer Querfrontstratege selbst zur »Ostalgie«. Nach seiner Lesart tragen die »nachhaltigen Dekonstruktionsarbeiten linker pressure groups bei fortwährender Wühlarbeit durch politmediale Akteure« mit dieser Behördenentscheidung Früchte. Kaiser zufolge hat sich der Geheimdienst von einem »frühen antitotalitären Grundkonsens« verabschiedet. Dies sei ein Beleg für die »erfolgreichste metapolitische Setzung der jüngsten Zeit«, eine »linke Umdeutung« des Grundgesetzes.

Ähnlich äußerst sich Dieter Stein, der Chefredakteur der Jungen Freiheit. Er wirft dem Geheimdienst vor, im politischen Auftrag zu handeln, und fordert den Rücktritt des Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes, Thomas Haldenwang. Die Zeitung ruft zur Solidarität mit Kubitscheks Truppe auf. Eine kleine Spitze gegen die Konkurrenz aus Schnellroda kann sich Stein aber nicht verkneifen. Er schreibt, »die Macher in Schnellroda« müssten sich »den Vorwurf gefallen lassen, seit 2013 systematisch darauf hingewirkt zu haben, bei der AfD die marktwirtschaftliche, konservativ-freiheitliche durch eine nationalkollektivistische Ausrichtung zu ersetzen«. Damit sind die volksgemeinschaftlichen Konzepte gemeint, die im Institut immer wieder beschworen, aber niemals konkret ausformuliert werden.

Auf Zuspruch von konservativen Kreisen für die Entscheidung des Verfassungsschutzes reagierte man in Schnellroda mit Empörung und der üblichen Verratsrhetorik. Doch entgegen den rechten Phantasien hat die Linke weder den Konservatismus noch den Staat oder gar den Geheimdienst übernommen. Wer Haldewang, ein CDU-Mitglied, für einen Linken hält, hat keinen Bezug mehr zur Realität. Ein kurzer Blick in die Veröffentlichungen des Geheimdienstes zeigt auch, dass dieser die Linke keineswegs aus den ­Augen verloren hat. Vielmehr wird die Behörde zurzeit erheblich aufgestockt. Mit den neuen Kapazitäten erfahren auch Strömungen Aufmerksamkeit, bei denen der Geheimdienst jahrzehntelang nicht hinsehen wollte. Erik Lehnert, der Leiter des nun beobachteten Instituts für Staatspolitik, weist selbst unfreiwillig auf diese Unterlassung hin, wenn er betont, dass sich »an der Ausrichtung unserer Arbeit in den letzten 20 Jahren nicht besonders viel ge­ändert hat«. Dass so im Nachhinein deutlich wird, wie lange staatliche Organe weggesehen haben, ist das eigentlich Interessante an der Entwicklung.

Derzeit zeigt sich ein Grunddilemma der Neuen Rechten: Einerseits unterstreicht sie permanent die eigene kämpferische Politik und präsentiert sich als letzte revolutionäre Kraft im Land. Andererseits versucht sie zugleich, der Öffentlichkeit die eigene Harm­losigkeit zu versichern. Kubitschek betreibt dieses Tänzchen zwischen maximaler Radikalität und staatstragendem Getue bis zur Perfektion. Die betonte Radikalität soll Aufmerksamkeit generieren, die konservative Mimikry zugleich das Wohlwollen »besorgter Bürger« sichern. Doch stets will man beim Wort genommen werden. Der Verfassungsschutz hat die ahistorischen Systemvergleiche, die faschistische Traditionspflege, den Antisemitismus und die Ausfälle gegen das allgemeine Wahlrecht aber doch bemerkt. Ob es überhaupt sinnvoll ist, politische Strömungen mit geheimdienst­lichen Mitteln zu verfolgen, wäre eine andere Debatte. Eigentlich gehört die Bekämpfung der Neuen Rechten in den Bereich der politischen Bildung, zumal beim Verfassungsschutz schon aus Erfahrung Vorsicht angebracht ist. Doch immerhin können die ­Macher bei »Tichys Einblick« und der Jungen Freiheit in einem beruhigt sein: Ihr Marktradikalismus bleibt auch weiter unbe­obachtet.