Eine Studie beschäftigt sich mit dem Verein »Juden in der AfD«

Ein unbeliebter Vortrupp

Jüdische Kritiker der AfD delegitimieren, den Zentralrat der Juden attackieren, den Antisemitismus von rechts relativieren – eine kürzlich erschienene Untersuchung beschäftigt sich mit der Funktion des Vereins »Juden in der AfD«.

»Es ist ein relativ normaler Vorgang, wenn sich im Rahmen einer Partei oder in ihrem unmittelbaren Umfeld eine Vereinigung bildet, die spezifische Gruppeninteressen vertritt oder bündelt.« Mit dieser Feststellung beginnt eine kürzlich erschienene Analyse der Emil-Julius-Gumbel-Forschungsstelle, die zum Moses-Mendelssohn-Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam gehört. Die Untersuchung beschäftigt sich allerdings mit einer alles andere als gewöhnlichen Parteivereinigung: Es geht um die »Juden in der AfD« (JAfD).

Die Solidaritätsadressen der »Juden in der AfD« an Israel sollten die AfD vom Verdacht des Rechts­extremismus reinwaschen, vermutet Elio Ader von der »Werteinitiative«.

Gideon Botsch, der Verfasser der Analyse und Leiter der Forschungsstelle, kommt zu dem Schluss, die wesentliche Funktion dieser Vereinigung bestehe darin, »jüdische und israelische Kritikerinnen und Kritiker der AfD zu delegitimieren«. Diesen solle abgesprochen werden, »für das Judentum oder für Israel sprechen zu dürfen«. Große Energie widme die Gruppe der Delegitimierung des Zentralrats der Juden, des größten jüdischen Zusammenschlusses in Deutschland. Botschs Darstellung zufolge bereiten die JAfD zudem antisemitische Stereotype und Klischees für das nichtjüdische Publikum auf. Eine weitere Funktion der Gruppe bestehe in der »Verharmlosung oder Leugnung der Existenz und Bedeutung eines rechten oder nationalistischen Antisemitismus«, so der Politikwissenschaftler.

Da in der Parteisatzung der AfD als offizielle Gliederung nur die »Junge Alternative« (JA) vorgesehen ist, hat sich der Zusammenschluss JAfD in einem eigenständigen Verein organisiert. Diesen haben im Jahr 2018 24 jüdische AfD-Mitgliedern gegründet, die Mitgliederzahl der JAfD liegt der Untersuchung zufolge weiterhin in diesem Bereich. Die Vereinstätigkeit beschränkt sich auf unregelmäßige Postings auf Facebook und die Herausgabe des Sammelbands »Was Juden zur AfD treibt«. Der Satzung zufolge will der Verein eine »bislang in der Öffentlichkeit sträflich vernachlässigte und teilweise sogar unterdrückte Haltung« vertreten, »mit der sich ein bedeutender und zunehmend größer werdender Teil der deutschen Judenheit identifiziert«.

Die Vereinsgründung rief in der AfD unterschiedliche Reaktionen hervor. Während sich der Parteivorstand positiv äußerte und das Bundesvorstandsmitglied Joachim Kuhs gar von einem »echten Glücksfall« sprach, sagte der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Stefan Räpple (AfD), es könne »nicht darum gehen, in der AfD immer neue Partikularinteressen zu verfolgen«. Er lehne die »zionistische Ideologie, also die Durchsetzung israelischer Interessen auf deutschem Boden«, ab. »Es geht mir um deutsche Interessen, nicht um israelische«, so der Politiker im Oktober 2018.

»Natürlich treffen Juden nicht nur kluge Entscheidungen«, kommentierte Josef Schuster, der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, damals die Gründung. Gemeinsam mit 46 weiteren Organisationen distanzierte sich der Zentralrat von den JAfD. Der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik verglich die Vereinigung mit dem zur Zeit der Weimarer Republik bestehenden »Verband nationaldeutscher Juden«. Diese Organisation rekrutierte sich aus dem antizionistischen und nationalistischen jüdischen Bildungsbürgertum und lehnte die Republik ab. Der etwa 3 500 Mitglieder starke Verband stand der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) nahe. »Auch in der ›Konservativen Revolution‹ engagierten sich jüdische Intellektuelle, beispielsweise Karl Wolfskehl, Friedrich Gundolf und Erich Kahlers im Kreis um den Dichter Stefan George«, sagte der Politikwissenschaftler Michael Zantke der Jungle World. Der Hochschullehrer Hans-Joachim Schoeps gründete im Februar 1933 den Verein »Der deutsche Vortrupp. Gefolgschaft deutscher Juden«, der mit dem Nationalsozialismus sympathisierte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verbreitete der Holocaustüberlebende Josef Ginsburg unter dem Pseudonym J. G. Burg in Artikeln und Büchern die Behauptung, die systematische Vernichtung der europäischen Juden sei eine Erfindung des Staats Israel, um sich die finanzielle Unterstützung Deutschlands zu sichern. Der 1908 in Czernowitz geborene Ginsburg ließ sich nach einem Aufenthalt in Israel 1952 in München nieder. Dort pflegte er Kontakte zu dem rechtsextremen Verleger Gerhard Frey, dem ehemaligen Wehrmachtsgeneral Otto Ernst Remer und dem international bekannten Holocaustleugner Ernst Zündel. Einige seiner Bücher sind hierzulande seit Jahrzehnten verboten. In den Gerichtsprozessen gegen Zündel trat Ginsburg als Zeuge für die Verteidigung auf. Dabei bestritt er die Zahl der Opfer der Shoah und bezeichnete die Existenz von Gaskammern als »zionistische Lüge«. Der gelernte Buchbinder gilt als einer der Erfinder jener Verschwörungstheorien, denen zufolge Zionisten freiwillig mit den Nationalsozialisten zusammengearbeitet hätten.

Der »Verband nationaldeutscher Juden«, die jüdischen Sympathisanten der »Konservativen Revolution«, der »deutsche Vortrupp« und Ginsburg waren marginalisiert. Das gilt auch für die JAfD. Sie haben es Botsch zufolge bei Juden bisher erfolglos für die AfD, »ihre Wertorientierungen, programmatischen Ziele und politischen Handlungen« geworben. »Die Mitglieder des Vereins sind im innerjüdischen Diskurs unsichtbar«, sagte Elio Adler, der Vorsitzende des Vereins »Werteinitiative – jüdisch-deutsche Positionen«, der Jungle World. »Ich spreche häufig mit Jüdinnen und Juden über Politik und mir fällt kein Gespräch ein, in dem die JAfD auf positive Resonanz gestoßen wäre.«

Die Solidaritätsadressen der JAfD an Israel sieht Adler ebenfalls kritisch. Seiner Ansicht nach sollten diese Bekundungen Mitglieder der AfD vom Verdacht des Rechtsextremismus reinwaschen. »Ferner beruht die Solidarisierung oft auf einem völlig falschen Israel-Bild dieser Leute und der Partei«, sagte Adler. Israel gelte zwar als Vorbild dafür, wie ein Staat mit Muslimen umgehen müsse. Doch die Apartheids- und Gewaltphantasien, die die Vorstellung von Mitgliedern und Anhängern der AfD vom Umgang Israels mit Muslimen prägten, entbehrten jeglicher Grundlage. Die Sympathie für dieses phantasierte Israel diene offenbar dazu, die eigene muslimfeindlichen Haltung bestätigt zu sehen.

Das einzige bekannte Mitglied der JAfD, das Ehren- und Wahlämter in jüdischen Organisationen in Deutschland ausübte, ist der stellvertretende Vorsitzende Wolfgang Fuhl. Er gehörte dem Vorstand der Israelitischen Gemeinde in Lörrach, dem Oberrat der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden und dem Direktorium des Zentralrats der Juden an. 2013 trat er in die AfD ein. Ein weiterer stellvertretender Vorsitzender ist Artur Abramovych. Er trat der Partei 2017 bei und wurde kurz darauf Landesvorstandsmitglied der JA Bayern. Zudem ist er Autor der neurechten Nachwuchszeitung Blaue Narzisse.

Der Politikwissenschaftler Zantke sieht Ähnlichkeiten zwischen den JAfD und Hans-Joachim Schoeps »Vortrupp« aus den Dreißigern. »Dass dessen Versuch einer Integration der nationalistisch gesinnten deutschen Juden in den Nationalsozialismus zum tragischen Scheitern verurteilt war, scheinen Leute wie Abramovych zu verdrängen«, so Zantke. Schoeps musste 1938 mit Unterstützung eines Helfers aus dem Auswärtigen Amt nach Schweden fliehen. Seine Eltern blieben in Deutschland und wurden von den Nazis ermordet.