Das neue Feindbild »Antifa« soll vom Rassismus ablenken

Anti Anti-Antifa!

Donald Trump und seine Claqueure dies- und jenseits des Atlantiks haben ein neues Feindbild ausgerufen: »die Antifa«. Das lenkt absichtsvoll vom eigentlichen Thema ab – und das heißt Rassismus.
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Auf die Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt in den USA nach der gewaltsamen Tötung George Floyds durch einen Polizisten hat Präsident Donald Trump reagiert: mit der Ankündigung, »die Antifa« als Terrororganisation einstufen zu wollen. Ein durchsichtiges Manöver, durch die absurde Zuschreibung der Urheberschaft den Protest zu delegitimieren und ein Signal an die eigene, rassistische Wählerschaft zu senden: I’m your man!

Statt nun enerviert den Kopf auf die Tischplatte fallen zu lassen, reden wir über »die Antifa«. Wir bekennen uns oder versuchen darzulegen, dass wahlweise »die Antifa« gar nicht so relevant für die Proteste ist und auch gar nicht so militant, oder wenn doch, dann halt aus guten Gründen, und überhaupt: Sie ist ja weder hierzulande noch in den USA ein eingetragener Verein, sondern eine quantité négligeable. Gesten der Verteidigung also, wo Antifa doch einmal Angriff hieß.

Nichts hindert einen Henryk M. Broder mehr an seiner Elsässerwerdung.

Dabei ist das Reden über »die Antifa« zurzeit vor allem eines: das Schweigen über den Rassismus. So muss man Trump wieder einmal konzedieren: Der Mann weiß, wie man die öffentliche Debatte dreht. Und er erhält Zustimmung auch hierzulande von genau ­jenen, denen dieseVerschiebung gerade recht kommt.

Wer beispielsweise Henryk M. Broder dabei zuschaut, wie er in aller publizistischen Öffentlichkeit kalt und dumm wird, bekommt von ihm in der Welt nach allerlei Häme über den »alltäglichen Rassismus« – den er natürlich in Anführungszeichen setzt – das Urteil serviert: »Der Antifaschismus ist der Faschismus des 21. Jahrhunderts.« Schenkelklopfen zuvörderst bei denen, die immer noch gerne »Neger« sagen wollen – oder wenigstens »Negerküsse«. Broder ist sicher kein »durchs Judentum verhinderter Faszist« (wie der junge Adorno über Marcuse urteilte). Denn nichts hindert einen Broder mehr an seiner Elsässerwerdung.

Und auch ansonsten noch nicht vollends durchgeknallte Liberale sekundieren, wie beispielsweise ein Autor der »Salonkolumnisten«, mit seiner »his­torischen Einordnung« eines »toxischen Begriffs«: »Antifa ist ein Produkt der Giftküche des Stalinismus«. Hinfort damit! Statt Antifa wird der »Einsatz der Demokraten für die offene Gesellschaft« empfohlen, eine rhetorische Steinmeierei, mit der man sich zumindest mal für niedere Dienste in der freiheitlich-­demokratischen Grundordnung empfiehlt. Bis es soweit ist, bitten die »Salonkolumnisten« noch um Spenden.

Dabei haben all die Anti-Antifaschisten, so sehr sie sich auch noch liberal gebärden mögen, durchaus ein feines Gespür dafür, was für sie selbst tatsächlich eine Gefahr darstellen könnte. Mit Rassismus können sich westliche Gesellschaften nämlich bestens arrangieren, sie profitieren oft sogar davon. Und für den Programmpunkt »Ausländer raus« hat man drinnen Bild, Seehofers Innenministerium und im Notfall ein paar freie Kameradschaften, draußen hat man Frontex und die Lager im Lande Erdoğans.

Anders ist das Verhältnis zum Antifaschismus. Denn der stellt, wenn er konsequent ist, immer auch die System­frage(n): Warum wesen Rassismus und Antisemitismus unvermindert fort? Warum werden liberale Kleinbürger immer wieder zu rechtsextremen Wutbürgern? Warum greifen vorgeblich freiheitliche Gesellschaften in Krisen immer wieder zu autoritären Lösungsversuchen? All diese Fragen sind immer auch soziale Fragen. Genau das wissen die Anti-Antifaschisten, und sie lieben diese Verhältnisse und profitieren von ihnen zu sehr, als dass sie ihre Verbesserung je zulassen würden. Denn der Feind steht links!

Dabei ist der Protest in den USA gar kein genuin antifaschistischer, sondern entspringt einem naiven moralischen Impuls, der nicht per se gesellschaftskritisch aufgeladen ist, sondern schlicht das Gründungsversprechen der Vereinigten Staaten – eine wunderbare Chimäre von Anfang an – ernst nimmt: Dass »alle Menschen gleich und unabhängig geschaffen sind, dass sie, weil sie gleich geschaffen sind, natürliche und unveräußerliche Rechte besitzen, zu denen die Erhaltung des Lebens und Freiheit und das Streben nach Glück gehören« (Thomas Jefferson in einem Entwurf der Unabhängigkeitserklärung). Die Realität freilich sah schon immer und sieht heute noch immer anders aus – das gilt mithin für alle westlichen Gesellschaften. Das aufzuzeigen, ist nicht schon antifaschistisch oder gar linksradikal. Diesem Impuls zu folgen und politisch weiterzudenken, verwiese allerdings auf eine ganz andere Gesellschaft, und so trachten Trump und seine Claqueure dies- und jenseits des Atlantiks gleichermaßen danach, schon den Impuls zu unterdrücken und dessen Redlichkeit zu denunzieren: Wehret den Anfängen!

Dabei ist abzusehen, dass der Protest in den USA rein gar nichts verändern wird. Und erst recht nicht die aus ihm erwachsenen Riots: Sie sind zwar Momente der Selbstermächtigung, die das Kontinuum der Ohnmacht für einen Moment zu durchbrechen versuchen, haben aber kein politisches Programm, keine Idee mehr für ein Danach, und sie sind darum, so heftig sie zurzeit auch erscheinen mögen, selbst völlig ohnmächtig. Ihre gewaltsame Form spiegelt die eigene Gewalterfahrung, die die Protestierenden gemacht haben, sind aber sicher kein Hinweis darauf, dass hernach sich irgendetwas zum Besseren wenden würde.

Es könnte sogar noch schlimmer kommen. Allein in Los Angeles wurden während der Riots diverse jüdische Geschäfte und Restaurants, selbst Synagogen verwüstet oder geplündert. Und das keineswegs zufällig: Graffitis wie »Fuck Israel« und »Free Palestine« zeugen nicht von wahlloser Gewalt, sondern von Antisemitismus. Die schwarze Community ist in ihrer Mehrheit weder antisemitisch noch propalästinensisch, Umfragen belegen eher das Gegenteil. Aber gerade weil der antirassistische Protest diffus ist, kann er leicht gehijackt werden.

Wie also theoretisch auf Rassismus und Polizeigewalt reflektieren? Was dazu überhaupt noch an Instrumentarium aus Universitäten und gesellschaftskritischen Institutionen oder Publikationen zur Verfügung steht, ist wesentlich vom Poststrukturalismus und Postkolonialismus geprägt. Das mag in Form von Parolen wie »Black Lives Matter« oder Termini wie »People of Color« noch kein Problem sein, die für sich genommen Wesentliches treffen. Wenn man aber das, was darüber hinaus geboten wird, als politisches Denken ernst nimmt, wird es elend: Es changiert irgendwo zwischen Betroffenheitslyrik und identitärem Bekenntnis, damit ist es noch dümmer als der Furor der Riots, wenn dieser sich beispielsweise in New York gegen die Luxusgeschäfte auf der 5th Avenue richtet und dabei die soziale Frage wenigstens noch konkret stellt. Was nicht heißt, dass man die richtige Frage nicht auch völlig falsch stellen kann.

Gänzlich absurd sind nun aber die großen Demonstrationen in Europa, nicht zuletzt in Berlin. Derartige Massenmobilisierungen gegen Rassismus sind hier nur dann möglich, wenn es dem eigenen eitlen Wohlbefinden dient und der Rassist im Weißen Haus sitzt. Andrei S. Markovits brachte es einmal auf die Formel: »Amerika, dich hasst sich’s besser!« Die Morde in Hanau, der antisemitische Terror in Halle, der Mord an Walter Lübke, das absichtsvolle Totalversagen von Polizei und Verfassungsschutz beim NSU – nichts davon hat die Leute hierzulande in ähnlicher Zahl auf die Straßen geschweige denn Barrikaden gebracht wie die Ranküne gegen Trump und Amerika. So viel zu antifaschistischer Selbstinszenierung und politisch korrektem Antiamerikanismus.