Freiheit ist unordentlich, da kann auch mal eine Statue stürzen

Ohne Brief und Siegel

Was kümmert mich der Dax Von

Als Jakob II. am 11. Dezember 1688 heimlich den Whitehall-Palast verließ und sich über die Themse rudern ließ, glaubte er, an das Wichtigste gedacht zu haben. Adel und Bürgertum hatten sich mehrheitlich auf die Seite der Invasionsarmee Wilhelm III. von Oranien gestellt, sein Thron war vorläufig verloren. Aber da gab es ja noch seinen kriegerischen Abenteuern nicht abgeneigten Cousin Ludwig XIV., Katholik wie Jakob II. und König von Frankreich, der gewiss so freundlich sein würde, eine Invasion gegen die protestantischen Thronräuber zu finanzieren. Bis dahin galt es, eine rechtmäßige Thronfolge zu seinen Ungunsten zu verhindern. Für eine solche bedurfte es eines regelkonform einberufenen Parlaments, und die Briefe, die Wahlen anordneten, mussten vom König mit dem Großen Kronsiegel beglaubigt werden. Jakob II. warf das Siegel in die Themse. Allerdings scherten sich die pragmatischen Engländer nicht darum, bastelten umgehend ein neues Siegel, improvisierten ein sogenanntes Convention Parliament und erklärten den regime change stolz zur Glorious Revolution.

Kann man so machen. Formaljuristisch betrachtet ist Großbritannien jedoch ein illegales Gebilde – die Acts of Union (1707) zur Vereinigung mit Schottland wurden nicht vom rechtmäßigen Herrscher Englands (damals ­Jakob III., der 1708 erfolglos eine Invasion versuchte) unterzeichnet – und die gesamte Rechtsgeschichte des Landes seit 1688 inklusive der Bill of Rights und des Erwerbs des Großteils der britischen Kolonien ungültig. Bei allem Bedauern angesichts der stilvollen Amtsführung der Queen muss zudem festgestellt werden, dass rechtlich der Thron dem jakobitischen Erben, Seiner Königlichen Hoheit Franz Bonaventura Adalbert Maria Herzog von Bayern, ­gebührt.

Komplikationen dieser Art sollten nicht nur jene Briten bedenken, die sich nun darüber ereifern, dass die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston – der übrigens 1688 seinen König verriet, dessen Royal African Company er seine Karriere verdankte, und deren Vizegouverneur er 1689 wurde – in das Hafenbecken Bristols geschubst wurde, weil das ja gesetzeswidrig war. Hochverrat und eine ausländische Invasion ebneten in Großbritannien den Weg zu Demokratisierung, die auch in den folgenden Jahrhunderten fast immer illegal und nicht selten gewalttätig erfolgte. Der in solchen Kämpfen immer wieder vorkommenden Statuensturz ist selbst ein historisches Ereignis. Man mag sich etwas mehr Geschichtsbewusstsein bei jenen Protestierenden wünschen, die, spiegelbildlich zur »Schwamm drüber«-Haltung der Nationalmythologen, alle als nicht moralisch rein bewerteten Personen verabscheuen. Doch die Kritiker der Pro­teste fordern ebenfalls moralische Reinheit, wenn sie den Kampf gegen rassistische Diskriminierung diskreditiert sehen, weil jemand »war ein Rassist« auf den Sockel einer Churchill-Statue gesprüht hat. Man kann den mit der Demokratisierung einhergehenden Aufruhr auch als Konservativer gelassener beurteilen. 2003 antwortete Donald Rumsfeld, damals Verteidigungsminister einer anderen aus dem Hochverrat von Sklavenhaltern und einer ausländischen Invasion hervorgegangenen Demokratie, auf die Kritik an Plünderungen im Irak und dem Sturz der Statue Saddam Husseins: »Freiheit ist unordentlich.«