In Athen demonstrierten Tausende gegen das neue Demonstrationsgesetz

Mehr Macht für die Polizei

Vergangene Woche ließ die konservative griechische Regierung ein Demonstrationsgesetz beschließen. Vertreter der Opposition kritisieren, dieses sei antidemokratisch. Tausende demonstrierten vor dem Parlament.

Der griechische Minister für Bürgerschutz sagte vergangene Woche im ­Parlament, die Demokratie leide unter Kundgebungen. Das werde sich ändern. Das Gesetz werde durchgesetzt. Besser als mit dieser Äußerung lässt sich die Intention des Demonstrationsgesetzes, das die griechische Regierung am Donnerstag voriger Woche beschließen ließ, kaum beschreiben. Chrysochoidis fand seinen Spruch so treffend, dass er ihn über Twitter noch einmal verbreitete.

Die Polizei bewarf den Demonstrations­block der kommunistischen KKE ohne Vorwarnung mit Tränengas- und Blendgranaten.

Das »Gesetz über öffentliche Versammlungen im Freien und andere Bestimmungen« wurde mit den Stimmen der Regierungspartei Nea Dimokratia (ND), der rechtspopulistischen Elli­niki Lysi und fast aller Abgeordneten der sozialdemokratischen Kinima ­Allagis (KA) verabschiedet. Es enthielt zahlreiche Artikel und Formulierungen aus Erlassen, die aus der Zeit der Militärdiktatur der Obristen (1967 bis 1974) stammen.

»Alle Macht den Uniformierten« war das Credo der Junta. Die Regierung unter Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis (ND) hat nun der Polizei mehr Macht gegeben. Diese kann gemäß dem neuen Gesetz Demonstrationen verbieten, wenn sie angibt, nicht genügend Beamte zu haben. Zudem hat sie das Recht, gegen Demonstranten vorzugehen, die den Betrieb eines Ministeriums oder eines Amtes stören. Das Gesetz sieht auch vor, dass alle Demonstrationen angemeldet werden müssen. Die Staatsanwaltschaft kann diese verbieten, falls aus ihrer Sicht die Gefahr besteht, dass es zu Ausschreitungen kommt.

Juristen beurteilen das Gesetz unter Berufung auf Artikel elf der griechischen Verfassung als verfassungswidrig. Im ersten Absatz des Artikels heißt es: »Die Griechen haben das Recht, sich ­ruhig und ohne Waffen zu versammeln.« Dem zweiten Absatz zufolge darf die Polizei »nur bei öffentlichen Versammlungen im Freien« anwesend sein. Solche Versammlungen »können durch eine begründete Entscheidung der Polizeibehörde im Allgemeinen verboten werden, wenn sie ein ernstes Risiko für die öffentliche Sicherheit darstellen, und in einem bestimmten Bereich, wenn eine ernsthafte Störung des sozioökonomischen Lebens droht«.

Abgeordnete der ND argumentierten in der Debatte über das Gesetz, Kundgebungen störten das wirtschaftliche Leben, trieben Geschäftsleute im Zentrum Athens in den Ruin und schränkten die übrigen Menschen in ­ihrem Recht auf Bewegungsfreiheit ein. Mitsotakis nannte sämtliche Gegner des Gesetzes »Elendige«. Zu diesen gehört demnach auch der frühere sozialdemokratische Ministerpräsident Giorgios Papandreou, inzwischen Abgeordneter der KA. Er war einst selbst für Polizeigewalt bei den Demonstrationen ­gegen den von EU und Internationalem Währungsfonds erzwungenen Sparkurs seiner Regierung verantwortlich. Nun sagte er, das Gesetz sei »in seinem Kern antidemokratisch. Anstatt friedliche Demonstrationen zu schützen, verbietet und kriminalisiert es sie. Es gibt den Herrschenden unverhältnismäßige Vorrechte und macht gleichzeitig friedliche Demonstranten zu Geiseln jedes Provokateurs.« Anders als die übrigen KA-Abgeordneten stimmten Papandreou und der ehemalige Justizminister Charis Kastanidis ­gegen das Gesetz. Papandreou erinnerte die ND daran, dass diese zu den Ver­anstaltern einer Demonstration gegen seine Regierung am 5. Mai 2010 in Athen gehört hatte. Damals kamen in einer Filiale der Marfin-Bank in der Stadiou-Straße drei Menschen ums ­Leben, als unbekannte Täter die Filiale mit Molotow-Cocktails bewarfen.

Gemäß dem neuen Gesetz hätten sämtliche Veranstalter und Teilnehmer der Demonstration, derer die Polizei hätte habhaft werden können, straf- und zivilrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Kommt es bei einer Demonstration zu Krawallen, kehrt das neue Gesetz die Beweislast um. Die Veranstalter und die Teilnehmer sind als sämtlicher Vergehen und Verbrechen schuldig anzusehen, bis sie zweifelsfrei beweisen können, ­alles ihnen Mögliche unternommen zu haben, um eine Eskalation zu verhindern. Kastanidis wies im Parlament auf diesen jeglicher demokratischen Rechtsordnung widersprechenden Missstand hin. Das Gesetz definiert zwar Strafen für Demonstranten, deren Pflichten werden jedoch nicht konkret bestimmt, so dass es Auslegungssache von Polizei und Justiz ist, ob diese erfüllt wurden.

Der wissenschaftliche Dienst des Parlaments warnte Mitsotakis vor einem Verstoß gegen die Verfassung: »Wenn eine Kundgebung zu einer ernsthaften öffentlichen Störung wird, liegt es in der Verantwortung des Staates, nicht des Veranstalters, Vertreters oder Betreuers der Kundgebung, den verursachten Schaden zu verringern. Die Organisatoren und Vertreter der Versammlung dürfen in keinem Fall verpflichtet sein, Schäden zu zahlen, die von anderen Teilnehmern einer Versammlung verursacht wurden (es sei denn, sie wurden von den Veranstaltern angestiftet oder auf andere Weise direkt ver­ursacht).«

Nach Angaben der Veranstalter ­demonstrierten am Donnerstag voriger Woche knapp 15 000 Menschen vor dem Parlament. Die Polizei setzte Tränengas ein. Chrysochoidis verteidigte das im Parlament: »Vor dem Parlament wurden Polizisten von 1 000 Vermummten angegriffen und mit Molotow-Cocktails beworfen. Viele Polizisten sind verletzt.« Thanassis Pafilis von der kommunistischen KKE sagte: »Das Tränengas wurde auf uns geworfen.« KKE-Abgeordnete hatten an der Demonstration teilgenommen. Die Polizei hatte den Demonstrationsblock der KKE ohne Vorwarnung mit Tränengas- und Blendgranaten beworfen. Chrysochoidis sagte, die Kommunisten hätten keinen Krawall gemacht, aber die Vermummten hätten die Polizei ­angegriffen.

Diese tauchen bei nahezu jeder ­Demonstration in Athen auf. Medien und Augenzeugen zufolge waren es nicht 1 000, sondern maximal 200. ­Augenzeugen zufolge drängte die Polizei die Vermummten in Richtung der übrigen Demonstranten und kesselte sie ein. Mehrere Menschen registrierten Tränengas- und Blendgranatenwürfe der Polizei, bevor der erste Molotow-Cocktail flog.

Der frühere Parlamentspräsident der linken Partei Syriza, Nikos Voutsis, wies Chrysochoidis auf die Diskrepanz zwischen seinen Aussagen und der ­Realität hin. Die KKE fragte, wer denn nach dem neuen Gesetz das Tränengas bezahlen müsse, das die Polizei einsetzte. Redner der ND sagten, sowohl Voutsis’ als auch Pafilis’ Äußerungen widersprächen der Aussage des Ministers sowie den Angaben der Polizeiführung und seien daher unglaubwürdig.